Blutiger Klee: Roman (German Edition)
nichtssagende ausweichende Antworten, und dann, plötzlich, fingen die
Leute zu sprudeln an. Oder auch nicht. Diese alte Kathi schien jedenfalls ein zäher
Brocken zu sein.
»Es könnt
schlimmer gehen, Herr Chefinspektor.«
»Da haben
Sie recht, Frau Luggauer.«
Der Chef
und die alte Frau sahen sich an und nickten einander zu wie zwei würdige Vortragende
bei einem philosophischen Seminar vom Dalai Lama. Passt schon, wird schon, so ist
halt der Lauf der Welt. Eine Fliege brummte um den Lampenschirm, aus der Küche begann
es betörend nach frisch aufgebrühtem Kaffee zu riechen. Leo schluckte, diesmal aus
Vorfreude.
»Ich bin
zehn Jahre nach dem ersten Weltkrieg geboren«, sagte die Kathi Luggauer endlich.
»Was glauben Sie, Herr Inspektor, was ich alles gesehen und erlebt hab. Als junges
Dirndl bin ich mit unserer Dorfhebamme mitgegangen, wenn sie im Winter zu den Höfen
rauf hat müssen, wo die Frauen in den Wehen gelegen sind. In Stuben, da würd’ man
heute keinen Hund drin halten. Stroh haben sie in die Ritzen von den Holzwänden
gestopft, damit der Wind nicht durchblast. Und oft hat man uns erst geholt, wenn
es schon zu spät war. Wenn das Kind festgesteckt ist und tot war. Dann hat die Ursula
einen Haken genommen und geschaut, dass sie wenigstens noch die Mutter retten kann.
Das mit dem Herrn Baron, das ist keine schöne Sache, bestimmt nicht. Ein Mord in
unserem Dorf, vor der Kapelle vom Heiligen Rochus. Aber ich hab schon Menschen schlimmer
sterben sehen, Herr Chefinspektor, als den Herrn Baron.«
Hoffentlich
kommt bald der Kaffee, dachte Leo. Sonst wird mir wirklich noch schlecht. Zuerst
diese grausliche Leber in der Küche vom ›Kaiserpark‹, und jetzt die Geschichten
von der Luggauerin, das hält ja keiner aus. Außer dem Chef natürlich, der schaut
aus, als ob er damals selber mitgegangen wäre mit der Luggauerin und dieser Hebamme,
ganz traurig und betroffen.
»Das glaub
ich Ihnen gerne, Frau Luggauer«, sagte Pestallozzi.
Er schwieg
und schien nach dem Kaffee zu schnuppern, dann wandte er sich wieder der Frau zu
und sah ihr ins Gesicht. »Was war er denn für einer, der Gleinegg?«
Die Kathi
Luggauer zuckte mit den Achseln, es sah irgendwie komisch aus, so eine beiläufige
Geste passte gar nicht zu ihr.
»Was soll
ich Ihnen sagen, Herr Chefinspektor. Am Land geht’s rauer zu als in der Stadt. Die
Bauern sind früher auch nicht freundlich mit den Hofleuten umgesprungen, und was
glauben Sie, wie’s heut den Stubenmädeln in den Hotels da bei uns geht? Der Herr
Baron war kein Freundlicher, das wird Ihnen keiner erzählen, weil sonst lügt er.
Aber schlimmer als die anderen war er auch nicht. Er war halt ein Herr.«
»Hat er
das die Leut’ spüren lassen? Dass er der Baron war?«
Die Kathi
Luggauer lachte plötzlich, ein Gitterwerk aus freundlichen Fältchen überzog ihr
Gesicht.
»Er ist
ja nicht mehr so oft in die Kirche runtergekommen wie früher. Aber wenn dann einmal
Touristen in der Bank von den Gleineggs gesessen sind, dann …«
Die Kathi
Luggauer war nun so belustigt, dass sie gar nicht mehr weiterreden konnte, Pestallozzi
lachte ebenfalls. Leo sah sich möglichst unauffällig um. Wo blieb bloß diese verdammte
Anna – so hatte sie doch geheißen – mit dem Kaffee? Er wurde das Gefühl nicht los,
dass sie hinter der Küchentür stand und lauschte.
»Aber mit
der Schrotflinte ist er doch hoffentlich nicht gekommen, der Herr Gleinegg?«, fragte
Pestallozzi.
Die alte
Kathi schüttelte den Kopf.
»Na, das
nicht! Aber ein Zirkus war es trotzdem, da können Sie den Holzinger, den Obmann
vom Fremdenverkehrsverein fragen, bei dem haben sich dann alle immer beschwert.
Der hat’s bestimmt nicht leicht gehabt, der Holzinger.«
Sie nestelte
ein sauberes Stofftaschentuch unter ihrer Schürze hervor und wischte sich über die
Augen, dann rief sie in Richtung Küche: »Anna, sag, wo bleibst denn?«
Augenblicklich
ging die Tür auf und ihre Nichte kam in die Stube. Sie trug ein Tablett, auf dem
grün geringeltes Gmundner Kaffeegeschirr stand, dazu eine Glaskanne mit Kaffee und
ein Teller mit Kuchenschnitten, die mit Puderzucker bestäubt waren. Alles sah höchst
appetitlich und adrett aus, Leo konnte den Blick nicht von der jungen Frau und den
Kuchenschnitten wenden. Anna Luggauer kam an den Tisch und teilte die Tassen und
Teller, die Löffel und Kuchengabeln aus, stellte einen kleinen Krug mit Milch und
eine Schale mit Würfelzucker in die Mitte. Dann schenkte sie allen Kaffee ein
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