Blutiger Klee: Roman (German Edition)
das nie etwas mit den Ermittlungen.
Wir sollten den Mann unbedingt von dem Fall abziehen!‹
Es klopfte
am Türrahmen, Pestallozzi schreckte hoch. Der Präsident stand da, er sah verschwitzt
und mitgenommen aus, seine Augen waren gerötet. Schwer atmend ließ er sich auf den
Sessel vor Pestallozzis Schreibtisch fallen und zerrte an seinem Krawattenknoten.
»Die können
vielleicht saufen, die Russen! Ich bin total erledigt!«
Pestallozzi
ließ den Spiralblock unter eine Akte gleiten.
»Ich habe
geglaubt, es war eine polnische Delegation?«
Grabner
wedelte unwirsch mit der Hand. Polen, Russen, Tschetschenen, das war doch alles
gleich. Er sah sich suchend um.
»Ein Mineralwasser?«
Grabner
schnaufte bloß und nickte. Pestallozzi stand auf und holte eine Flasche kaltes Mineralwasser
aus dem Kühlschrank im Flur, dann goss er dem Präsidenten ein Glas voll, der stürzte
es in einem Zug hinunter.
»Ah … das
habe ich jetzt gebraucht. Danke, Pestallozzi!«
Er saß eine
Minute lang da, dann beugte er sich leicht nach vorne und senkte die Stimme. »Haben
Sie schon die Nachrichten aus Wien gehört?«
Pestallozzi
schüttelte den Kopf. Was würde wohl jetzt wieder kommen, hatte sich dieser Woratschek
also doch schon über ihn beschwert?
»Eine Regierungsumbildung
steht kurz bevor, ein Freund aus dem Parlamentsklub hat es mich wissen lassen, ganz
unter der Hand.«
Grabner
sah ihn so erwartungsvoll an, dass Pestallozzi ein Grinsen unterdrücken musste.
»Wirklich? Unglaublich, welche Kontakte Sie haben!«
Grabner
lehnte sich zurück und wischte geschmeichelt ein nicht vorhandenes Stäubchen von
seinem Stecktuch.
»Tja, man
hat so seine Beziehungen. Aber das muss selbstverständlich noch unter uns bleiben.«
Er sah Pestallozzi
streng an, der nickte ernsthaft.
»Natürlich
wird das auch Auswirkungen auf unsere Dienststelle haben. Wie schaut es mit dem
Fall Gleinegg aus, geht da endlich etwas weiter? Diese lästige Wanze von einem Woratschek
löchert mich praktisch stündlich damit.«
Pestallozzi
wies auf den Aktenberg zwischen ihnen.
»Wir haben
jetzt zwei Tage lang Mitglieder der Familie und die Leute im Ort befragt. Und ich
schaue mir gerade die wirtschaftlichen Verflechtungen an. Aber einen konkreten Verdacht
kann ich Ihnen noch nicht bieten.«
Grabner
seufzte und nickte.
»Machen
Sie mir ja keinen Fehler, Pestallozzi. Wenn uns da ein Schnitzer passiert, dann
…«
Der Präsident
ließ offen, welche schauerlichen Konsequenzen dann folgen würden. Er erhob sich
schwerfällig und wandte sich zum Gehen. »Ich muss mich jetzt wieder um das ganze
Drumherum kümmern. Also, bis später!« Und er stapfte hinaus, Pestallozzi beneidete
ihn nicht um die kommenden Stunden. Diskret nachfragen und Informationen einholen.
Würden die Kontakte vom Präsidenten zu einem neuen Minister auch so geschmeidig
und freundschaftlich sein wie bisher? Anstrengend muss das sein, dachte Pestallozzi.
Dabei ist der Grabner doch schon am Karrieregipfel angelangt, warum nimmt er bloß
immer noch alles so schwer? Selber wird er ja wohl nicht mehr Minister werden wollen,
obwohl das für seine Frau natürlich wie ein Jackpot bei ›Euromillionen‹ wäre.
Leo stand
in der Tür und räusperte sich, Pestallozzi hatte ihn gar nicht bemerkt.
»Die Henriette
Gleinegg empfängt uns. So hat sie das jedenfalls ausgedrückt, ganz im Ernst.«
Leo wackelte
mit dem Hintern und spreizte geziert den Arm ab, als ob er einen Handkuss erwarten
würde.
Pestallozzi
quittierte die Darbietung mit einem Lachen und stand auf. Wunderbar, er brauchte
jetzt dringend frische Luft.
»Also, dann
wollen wir der Dame unsere Aufwartung machen. Für den Handkuss bist du zuständig!
Immerhin bist du der Frauenheld von uns beiden!«
Leo grinste
schief. Das war ja hoffentlich nur ein Scherz vom Chef! Oder?
*
Anna saß auf der Holzbank und hielt
ihr Lieblingskissen gegen den Bauch gepresst, die Tante Kathi rumorte in der Küche
herum. Um elf würde sie den Bus zurück nach Salzburg nehmen, aber vorher wollte
die Tante Kathi noch unbedingt mit ihr in den Ort gehen und einkaufen. »Aber das
kann doch ich für dich erledigen«, hatte Anna angeboten, aber die Tante hatte davon
nichts wissen wollen. Ich kann mich nicht immer verstecken, irgendwann muss Schluss
sein! Außerdem brauch ich Gelierzucker zum Einkochen, du isst doch so gern Marillenmarmelade,
und dann muss ich die Schuhe abholen, die ich dem neuen Schuster zum Doppeln gebracht
hab, ich muss schauen, ob der
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