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Blutiger Klee: Roman (German Edition)

Blutiger Klee: Roman (German Edition)

Titel: Blutiger Klee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Faro
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erklärt. Dann hatten sie beide lachen müssen, obwohl doch Erwachsene normalerweise
fast nie lachten, und schon gar nicht mit einem Kind. Aber solche sonderbaren Sachen
passierten eben in letzter Zeit.
    Sie tunkte
das linke Bein wieder ins Wasser und hob das rechte Bein an. Das Wasser war wirklich
kalt. Aber es ließ sich einfach so gut nachdenken, wenn man mit den Füßen darin
stand. Fand sie jedenfalls. Der Moritz würde das verstehen. Der Moritz verstand
alles. Ob er kommen würde? Warum hatte sie auf einmal dieses Gefühl, dass ihr der
ganze Sommer und die Ferien von der Schule völlig egal wären, wenn der Moritz nicht
kommen würde? War sie krank?
    Ein Geräusch
riss sie aus ihren Grübeleien, sie machte erschrocken einen Schritt zurück und stieg
prompt auf einen spitzen Kieselstein, der sich in ihre Fußsohle bohrte. Aber zum
Glück hatte nur jemand seine Kreissäge angeworfen, wahrscheinlich der Loibnerbauer.
Sie hatte schon geglaubt, dass es wieder der dicke Schauspieler vom anderen Ufer
war, der so gerne mit seinem Motorboot über den See knatterte, auf dem diese komische
Fahne wachelte. Ein Kreuz, von dem die vier Balken am Ende wie umgeknickt aussahen.
Der dicke Schauspieler war angeblich ein weltberühmter Mann, den alle Frauen anschmachteten.
Das konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Einmal, nach dem Kurkonzert
im Pavillon, war er zur Steffi, der Marketenderin von der Blasmusik, hingegangen
und hatte sie unters Kinn gefasst. »Na, mein schönes Kind«, hatte der weltberühmte
dicke Schauspieler gesagt. Aber die Steffi war nur stocksteif dagestanden und hatte
sich nachher übers Gesicht gewischt. Der weltberühmte Schauspieler spuckte nämlich.
    Und dann
kam er ja doch, der Moritz. Mit seiner kleinen Schwester, die Eltern waren zu Hause
geblieben, in Wien. Warum hatte sie sich nur so viele Sorgen gemacht! Am liebsten
wäre sie dem Moritz gleich um den Hals gefallen, als sie sich das erste Mal wieder
über den Weg liefen, vor der Villa seiner Tante, wo sie – nicht ganz zufällig –
gerade vorbeikam. Aber das, den Moritz zu berühren, schien irgendwie unmöglich geworden
zu sein, dabei hatten sie doch im vergangenen Sommer noch alle drei im Wasser herumgebalgt
und sich gekitzelt. Der Moritz und die Rachel hatten natürlich richtige Badeanzüge
getragen, aber sie hatte sich damals einfach den Kittel um den Bauch geknotet und
war hinterdrein gesprungen, der Ärger mit der Mutter war erst viel später gekommen.
Doch jetzt standen sie bloß da und sahen sich verlegen an, sie und der Moritz, der
mit einem Mal so groß und viel erwachsener geworden war. Sie musste richtig das
Kinn anheben, um ihm ins Gesicht zu schauen. Also hatte sie bloß die Rachel an sich
gedrückt und aufgehoben und durch die Luft geschwenkt und gekitzelt, bis die vor
lauter Kichern kaum mehr Luft bekam.
    Am nächsten
Tag trafen sie sich wieder, unten am See, es war wie in den Sommern vorher. Am schönsten
war es nahe beim Schilf, wo die Enten nisteten. Die Schwanenfamilie hatte sich um
drei graue flauschige Küken vergrößert, die Rachel so gerne gestreichelt hätte.
Aber die Schwaneneltern spreizten die Flügel und fauchten und waren selbst mit Biskuit
von der Tante nicht zu besänftigen. Also strolchten sie lieber am Ufer entlang,
und Moritz ließ Kieselsteine übers Wasser schlittern. Zweimal prallten sie auf,
höchstens, dann versanken sie in der brackigen Ufernähe. Sie selbst konnte es auf
mindestens viermal Auftitschen bringen, damit hatte sie den Jakob schon oft genug
geärgert. Aber sie hatte einfach keine Lust, den Moritz zu übertrumpfen. Denn es
war eben doch nicht wie in den Sommern vorher. Irgendetwas war anders geworden,
nicht nur im Ort, sondern auch ihr allerbester und liebster Freund hatte sich verändert.
Sie ging hinter ihm her, durch das sonnverbrannte Ufergestrüpp, und spürte seinen
Kummer. Die Rachel hüpfte neben ihnen und rupfte achtlos Beinwell und Spitzwegerich
ab, aus dem man doch so guten Hustensaft kochen konnte. Aber selbst sie blieb manchmal
stehen und starrte vor sich hin, mit zusammengezogenen Augenbrauen. Was war nur
geschehen? Manchmal hatte sie ein Gefühl, als ob alles zu Scherben gehen würde.
    Früher waren
sie so gerne durch den Ort gestreift. Der Moritz hatte immer Taschengeld dabeigehabt,
ein Wort, das sie nicht einmal gekannt hatte. Damit waren sie einmal sogar zur Kramerin
gegangen, und der Moritz hatte drei rot-weiß-rot gedrehte Zuckerstangen gekauft,
die gebogen waren

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