Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
Problem«, rief sie eigensinnig. »Der müsste am Infostand der Parkschützer sein.«
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, legte die Hand über die Augen und hielt nach dem Stand Ausschau, der sich am anderen Ende des abgesperrten Platzes befinden musste, geschätzte fünftausend Leute von ihr entfernt. Entmutigt ließ sie ihren Arm sinken. »Mist!«
»Keine Sorge.« Fabian beugte sich zu ihr herunter. »Ich suche den Stand von Robin Wood. Die liegen sicher in einer Reihe. Ich mach den Weg schon frei.« Fabian bahnte sich wie ein Eisbrecher seinen Weg durch die Menschenmenge, und Leonie folgte ihm in dichtem Abstand.
Wie immer, wenn sie mehr oder weniger zufällig in eine der Demos geraten war, erstaunte sie die Vielfalt der Leute, die gegen das Projekt auf die Straße gingen. Seite an Seite stand das Ehepaar mit Tweedsakko und Perlenkette, dem man die Herkunft aus dem Villenviertel ansah, neben der Studenten-WG mit Rastalocken aus dem Stuttgarter Westen für seine Überzeugung gerade. Ausgeflippte Teenager johlten begeistert und klatschten genauso laut wie die Frau in Birkenstocksandalen und rotem Sonnenhut, die gut ihre Lehrerin sein konnte. Die Regenbogenfarben der Peace-Fahnen, die phantasievollen Transparente und Plakate der S-21-Gegner machten das Bild täuschend fröhlich. Junge Paare hatten ihre Kinder mitgebracht, die im Buggy an ihrer Teeflasche nuckelten und das bunte Durcheinander neugierig beäugten. Leonie spürte einen Stich schlechten Gewissens, denn ihr politisches Engagement war neben der Fürsorge für Leander völlig baden gegangen. Hierher mitnehmen würde sie ihn niemals, dazu spürte sie unter der Oberfläche zu viel verborgene Aggression. Schließlich hatten sie ihr Ziel erreicht. Während Leonie nach Sebastian Ausschau hielt, trennte sich Fabian von ihr und suchte die Leute von Robin Wood. Mühsam drängte sie sich durch die Reihen, die den Infostand umlagerten, und erkannte Sebastian an seinem dunklen Haarschopf. Gerade richtete er sich auf und sortierte mit einer Sorgfalt, die sie ihm gar nicht zugetraut hätte, einen Stapel durcheinandergeratener Prospekte. Wenn er sich beim Aufräumen seines Zimmers nur genauso anstrengen würde!
»Bastian!«
Unwillkürlich blickte er auf. »Du kannst dich gleich wieder vom Acker machen.« Er drehte sich demonstrativ um und verkaufte einigen Leuten ein paar grasgrüne Buttons. Leonie wurde so zornig, dass ihre Stimme das Gepfeife und Gegröle mühelos übertönte. »Mathebauer hat angerufen. Ihr habt Projekttag mit Schulpflicht.« Sie sah, wie er sich mühsam zusammenriss, um ihr nicht ins Gesicht zu springen.
»Jetzt hör mir mal zu, Leonie! Ich finde es genial, dass du wieder zu Hause bist. Und ich esse auch jeden Tag eine Schüssel voll Spaghetti Carbonara. Aber das gibt dir noch lange nicht das Recht, dich in meine Angelegenheiten einzumischen.«
Einige Demonstranten blickten interessiert auf, und Leonie spürte ärgerlich, dass sie flammend rot wurde. Schließlich kochte sie Spaghetti Carbonara nicht täglich, sondern abwechselnd mit Spaghetti Bolognese und Spaghetti Pomodori. Und Maultaschen geschmälzt.
»Er lässt dir etwas ausrichten«, sagte sie kalt. »Wenn du dich heute noch in der Schule blicken lässt, vergisst er die Angelegenheit. Sonst gehst du am Montag zum Rektor.«
»Na und!« Sebastian blickte sie offen an. Seine grünen Augen waren so hart wie Jadesteine. In diesem Moment wollte Leonie nur noch nach Hause. Vielleicht konnte sie gemeinsam mit Sybille unter dem Kirschbaum sitzen, Kirschkerne um die Wette spucken und aus der Ferne über ihren Bruder lästern.
Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und stieß mit Fabian zusammen, der unmittelbar hinter ihr stand. Wie lange hatte er schon zugehört?
»Hast du das eben … ähmm … mitgekriegt?« Peinlich! Da fuhr sie wie eine Glucke hinter ihrem Bruder her, und konnte ihn doch nicht zur Vernunft bringen. Fabian zuckte nur die Schultern. »Wie alt ist er?«
»Siebzehn«, sagte sie.
»Ich habe mir in dem Alter auch nichts mehr sagen lassen, weder von meinem Bruder noch von meinen Alten. Und die Konsequenzen hat er ganz alleine zu tragen.« Gemeinsam tauchten sie in die Menge ein, über der ein hellgrünes Meer aus Luftballons wogte.
»Hast du wenigstens gefunden, wonach du gesucht hast?«
Er zögerte kurz. »Nein.« Sein Handy klingelte. Er ging kurz ran, sagte »Okay« und steckte es in seine Jackentasche.
»Und was hast du gesucht, wenn ich fragen darf?«
»Ich
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