Blutiges Echo (German Edition)
mehr.«
»Natürlich tut es das.«
»Ach ja?«
»Deine Nachricht hat mich ins Grübeln gebracht. Du und ich, wir haben tatsächlich beide unsere innere Mitte verloren. Willst du sie immer noch wiederfinden?«
»Mit dem Mädchen, von dem ich geschrieben hab, ist es wohl vorbei, bevor es überhaupt angefangen hat. Ich weiß inzwischen nicht mal, ob da überhaupt irgendwas angefangen hätte. War wohl nur Wunschdenken.«
»Hat sie das gesagt?«
»Sie hat gar nichts gesagt. Joey hat mir die Augen geöffnet. Hat mir nicht gefallen, was ich da gesehen hab, aber er hat mich dazu gebracht, dass ich ganz klarsehe.«
»Dieser Kerl behauptet also, sie wäre nichts für dich.«
»Er hat gesagt, dass sie zu gut für mich ist. Und das stimmt auch.«
»Und du glaubst ihm das?«
»Jepp.«
»Wenn du in deiner inneren Mitte ruhen würdest, würdest du das nicht glauben. Aus euch beiden mag vielleicht nichts werden, aber du würdest anders darüber denken. Du wüsstest, wie du den Schmerz verarbeiten könntest.«
»Und du bist der Meister der Verarbeitung?«
Tad schüttelte den Kopf. »Nein. Aber wir können das gemeinsam in den Griff kriegen. Früher hatte ich es mal im Griff – bis zu einem gewissen Grad. In deinem Leben wird es immer Dinge geben, die dich ins Schwanken bringen, aber der Trick ist, sich nicht so sehr aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen, dass man sich nicht wieder fängt. Das ist mit ›im Griff haben‹ gemeint. Es bedeutet nicht, dass das Leben nicht über dich herfällt und versucht dich rumzuschubsen, sondern dass du auch heftige Stürme überstehst.«
»Und wenn mein Gleichgewicht total am Arsch ist? Wenn ich zum Beispiel richtig umgehauen werde, hinfalle und nicht wieder aufstehen kann?«
»Du kannst aufstehen. Du kannst immer wieder aufstehen. Körperlich vielleicht nicht, aber geistig, emotional kannst du immer wieder aufstehen.«
»Ist nicht böse gemeint, aber du bist wohl nicht das beste Beispiel dafür.«
»Stimmt. Aber die Dinge haben sich geändert. Für mich. Oder jedenfalls versuche ich, etwas zu ändern. Du kannst Teil dieser Veränderung sein – für mich und für dich. Hast du Lust?«
»Ich weiß nicht.«
»Denk dran, du warst derjenige, der mich gefragt hat.«
»Ja, aber das war in einer Phase der Euphorie.«
»Die Leute denken immer, Glücklichsein wäre was Permanentes. Dabei ergibt es sich aus einer Reihe von Balanceakten. Wenn du jetzt stehen würdest – was du im Augenblick lieber noch nicht so viel tun solltest –, aber wenn du stehen würdest, wärst du nicht im Gleichgewicht.«
»Weil ich nicht weiß, wie man steht?«
»Nein. Dieser ganze Karate-Kram mit Vorwärtsstellung, Reiterstellung und so weiter, das ist alles Quatsch. Wenn du stehst, versuchst du die ganze Zeit, dein Gleichgewicht zu finden. Ich rede davon, zu stehen, ohne genauer darüber nachzudenken, du weißt schon, einfach lässig rumstehen. Wenn man einfach nur irgendwo steht, dann verändert man im Prinzip die ganze Zeit seine Haltung, um die Balance zu bewahren. Wir alle tun das, mehr oder weniger. Man steht in einer Position, man wird müde, muss sich bewegen – und zwar, weil man sein Gleichgewicht neu austarieren muss. Genauso ist es mit dem Leben. Glücklichsein hat damit zu tun, sein Gleichgewicht neu auszutarieren.«
»Ist das eine dieser Zen-Weisheiten?«
»Nein. Das ist eine Tad-Weisheit. Das hat mir mein Trainer beigebracht. Mein Lehrer für Kampfkunst und fürs Leben. Der Typ war echt ausgeglichen. Der wusste so einiges. Früher hielt ich mich auch mal für ausgeglichen und dachte, ich hätte es geschnallt, und dann hab ich gemerkt, dass ich nicht mal halb so viel geschnallt hatte wie er. Aber trotzdem hab ich damals wenigstens ein bisschen was gewusst.«
»Kannst du es mir beibringen?«
»Ich kann dir beibringen, was du lernen willst. Während ich es mir selbst wieder beibringe. Einverstanden?«
Harry nahm einen Schluck Kaffee.
»Wird es wehtun?«
»Hin und wieder. Schmerz ist ein Indikator für Leben, weißt du.«
»Kann ja sein, aber ich weiß nicht genau, wie lebendig ich mich fühlen will.«
»Wie gut geht es dir gerade?«
»Nicht so besonders.«
»Du hast dir deine Frage gerade selbst beantwortet.«
»Wenn du mich unterrichten willst, heißt das, dass du mir glaubst, was ich dir erzählt hab?«
»Keine Ahnung. Aber ich hab ein paar Sachen nachgeschlagen, hier in meiner eigenen Bibliothek. Ich besitze einen ganzen Haufen Bücher, Harry. Früher hatte ich ständig die
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