Blutiges Gold
Funknummer hatte er abgestellt, daher wusste er, dass dieser Anruf dringend sein musste.
Das handgroße Gerät, das er hervorgeholt hatte, dekodierte die Nachricht beim Herunterscrollen über das Display automatisch. Sie kam vom leitenden Croupier der Baccara-Tische. Einer der japanischen »Walfische« – Spieler, die eine Million Dollar setzen konnten und das auch taten – hatte eine Glückssträhne. Es ging um sechshunderttausend Dollar und mehr. Ob Shane wohl die Croupiers austauschen wollte, um das Glück des »Walfischs« zu brechen, bevor es zu spät war?
Shane sandte einen negativen Bescheid zurück. Es war schon eine Weile her, dass das Golden Fleece einen großen Gewinner aus Japan hatte. Langfristig entschädigte die öffentliche Aufmerksamkeit, die so ein Gewinn mit sich brachte, den finanziellen Verlust um ein Vielfaches.
Er ließ die Party um ihn herum kreischen und taumeln und sah in aller Ruhe seine Mailbox durch. Risa hatte ein paar Mal versucht, ihn zu erreichen. Sie wollte ihn sprechen, aber so dringend konnte es nicht sein, sonst hätte sie den entsprechenden Code benutzt.
Ein verdammt kluges Weibsbild. Doch das war ja nichts Neues.
Er öffnete seine E-Mails und sah, dass sich der portugiesische Küchenchef mit den Lieferanten des Golden Fleece um die Meeresfrüchte stritt, die täglich aus verschiedenen Häfen der Welt eingeflogen wurden. Zu viele der Penn-Cove-Muscheln hatten zerbrochene Schalen, und die grünen Muscheln aus Neuseeland sahen grau aus. Die Miesmuscheln aus Boston waren zu groß, die Kammmuscheln dagegen zu klein. Die frischen Austern schmeckten wie Rotz.
Shane kicherte. Den Eindruck hatte er bei frischen Austern immer schon gehabt. Seiner Ansicht nach gab es nur eines, was noch ekliger war als frische Austern: gekochte Austern.
Mit einem Daumenklick gelangte er zur nächsten Nachricht. Dieses Mal waren es Klagen vom Sommelier. Der Lieferant aus Frankreich war unzuverlässig, der aus Italien schickte minderwertige Weine und die Napa-Valley-Weine hatten überzogene Preise für die gebotene Qualität. Ob Shane diese durch einige der besseren Weine der südlichen Hemisphäre ersetzen wolle?
Shane unterdrückte einen Fluch. Teil des Problems, ein Unternehmen wie Tannahill Inc. im Allgemeinen und das Golden Fleece im Speziellen zu leiten, war die Tatsache, dass seine Angestellten rund um die Uhr arbeiteten und dasselbe von ihm erwarteten. Doch anders als seine Angestellten hatte Shane am Tag nicht nur eine Achtstundenschicht, sondern zwei, wenn das ausreichte. Er sollte mehr Arbeit delegieren, das war ihm klar. Er war nur noch nicht dazu gekommen, diese Erkenntnis auch in die Tat umzusetzen.
Die dritte Nachricht entlockte ihm ein Lächeln. Die neue Firewall, die er neulich im Computerzentrum von Tannahill Inc. installieren ließ, hatte nicht nur alle vier Testläufe glänzend bestanden. Sie hatte auch seinen selbst kreierten netten kleinen Virus an die Hacker auf demselben Weg zurückgeschickt, auf dem sie versucht hatten, in das System von Tannahill Inc. einzudringen. Im Augenblick würden mindestens vier Hacker entsetzt auf die Schrotthaufen blicken, die einmal teure Computer gewesen waren.
Zur Hölle mit diesen Typen, dachte er belustigt. Die neue Firewall hätte schon vor Monaten installiert werden sollen, aber er hatte vorher keine Zeit dafür gefunden. Er hoffte, dass der alten nichts Ernstzunehmendes durch die Lappen gegangen war.
Seine Programmier- und Hacker-Fertigkeiten, die er von seinem Vater gelernt hatte – und später anwandte, um mit diesem Mistkerl gleichzuziehen –, hatten sich schon oft als sehr nützlich erwiesen. Würde Shane sich nicht doch mehr für Menschen als für Computer interessieren, wäre er schon lange in der Computerwelt verschwunden und nie mehr aufgetaucht. Bei der Suche nach neuen Möglichkeiten der Verknüpfung von Mensch und Computer gab es geradezu mystische Momente der Versenkung, die ihn faszinierten. Das Einzige, was seinen rastlosen Geist noch mehr reizte, waren die Launen und Ideen der Menschheit, sichtbar gemacht in den goldenen, die Zeiten überdauernden Kunstwerken und Schmuckstücken.
»Shane!«
Geistesabwesend steckte er seinen Pager weg, als er sich nach Risa umdrehte. Sie bahnte sich einen Weg durch die Menge zu ihm. Auch sie trug noch dieselben Kleider wie in L. A., also war sie seit ihrer Landung in Las Vegas genauso beschäftigt gewesen wie er. Im Geiste verfertigte er eine Notiz, um ihr zu sagen, sie solle mehr
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