Blutiges Gold
für sie sorgen zu können, und jung genug, um noch einen hochzukriegen. An dem Tag würde sie Tim und den ganzen Channel-Schwindel hinter sich lassen. Vielleicht hatte Tim auch vor ihr das Glück und fand eine reizende ältere Dame, die sich gerne mit Feuerbällen beschäftigte oder was auch immer gerade angesagt war. Dann konnte Cherelle von Tim leben und sich um die reichen Freunde der älteren Lady kümmern.
Wenn sie darüber nachdachte, war das beinahe so gut wie Kokain zu schnupfen. Bei beidem fühlte sie sich, als ob sie fliegen könnte. Eines Tages würde sie das auch. Sie würde einen Schritt über die Kante machen und dann einfach fliegen und fliegen und fliegen.
Lächelnd und träumend prallte Cherelle plötzlich auf Virgil. Sie wäre sogar über ihn gefallen, wenn nicht eine seiner dünnen, erstaunlich kräftigen Hände sie am Arm ergriffen hätte, um sie zu halten. Trotzdem musste sie sich noch mit einer Hand an der kalten Oberfläche des mannshohen Felsens abstützen. Doch augenblicklich zog sie ihre Hand wieder zurück, als hätte sie eine Klapperschlange berührt. Sie hasste diese Steine mit einer Leidenschaft, die aus der Angst geboren war.
»Danke«, sagte sie mit gedämpfter Stimme. »Die Energie hier ist so groß, dass ich die reale Welt um mich herum ganz vergesse.« Mit ein paar Lampen wäre es viel einfacher, den ganzen verdammten Weg hierher zu gehen. Diese kaum kraftorttaugliche Erkenntnis behielt sie aber lieber für sich.
Tim kam hinter ihr her. »Alles okay mit dir?«
»Alles bestens«, log sie zitternd mit fest aufeinandergepressten Lippen.
Sie fühlte, wie sich ihr Magen zusammenzog und kalter Schweiß den Rücken hinablief, und konnte sich diesen Empfindungen nun nicht länger durch Träumereien entziehen. Als sie von Virgil das erste Mal hierhergeführt worden war, hatte sie wie ein verängstigtes Kindergartenkind schier in die Hose gemacht vor Grauen. Sie hatte keine Ahnung, was in dem schattigen Ort zwischen den drei Steinen lauerte – was immer es war, sie wollte nichts damit zu tun haben.
Sie sah, wie Tim zu den Steinen hinüberging und sich an einen der großen Blöcke lehnte, um zu warten, bis sie endlich mit der Zeremonie begann. Er spürte ganz offensichtlich genauso wenig wie der Stein. Noch weniger, vermutlich.
Tim war zwar ein ziemlich hübscher Bursche, und er befriedigte sie, dass ihr Hören und Sehen verging. Aber er hatte bloß Grütze im Hirn.
Virgil stieß sie an. »Es dämmert gleich, Lady Faulkner.«
»Aber natürlich.« Verspätet registrierte sie, dass Virgil die hölzerne Kiste nicht mehr hielt. Sie sah sich um und zuckte zusammen. Die Kiste stand genau in der Mitte des etwa kreisförmigen Platzes zwischen den drei Steinen. Das Mondlicht ließ die Risse in den Steinen aussehen, als würden sie glühen. »Was …«, begann sie und schloss den Mund wieder. Betrüger durften den Betrogenen natürlich keine Fragen stellen. »Ich nehme an, Sie möchten mit Merlin sprechen.«
»Das ist richtig.«
O bitte, nicht schon wieder. Cherelle schluckte ihren Ärger darüber hinunter, dass sie wieder dieselbe Leier abspulen würde. Sie fragte sich, ob es wohl den großen Schauspielstars ebenso erging, die Abend für Abend – und mittwochs und sonntags zweimal – dasselbe Stück spielen mussten.
»Viele Menschen wollen Kontakt zu Merlin aufnehmen«, sprach sie gezwungen ruhig. »Und wir haben beobachtet, dass Merlin umgekehrt nur selten den Wunsch verspürt, zu ihnen zu sprechen.«
»Verdammt, das weiß ich. Hatte schon mehr als ein sogenanntes Channel, das behauptete, eine Direktleitung zu ihm zu haben. War alles gelogen. Nie hat einer sagen können, was in den Kisten unter meinem Bett ist.«
Als Cherelle kapierte, was Virgil meinte, hätte sie beinahe aufgeschrien. Er war auf der Suche nach jemand, der Gedanken lesen konnte und nicht bloß den Kontakt herstellen zu dem sagenhaften Magier.
Aber sie konnte keine Gedanken lesen.
»An König Arthurs Hof gibt es sicher jemand anderen, den man ebenso leicht …«, begann sie.
»Merlin!«, wurde sie von Virgil unterbrochen. »Er ist der Einzige, der die Macht hat. Lassen Sie uns anfangen. Wir vergeuden nur unsre Zeit. Es muss vor Beginn der Dämmerung geschehen, wenn sie alle in die Hölle zurückgescheucht werden.«
Es dauerte einen Augenblick, bis Cherelle wusste, was er meinte. Dann fiel ihr ein, dass heute ja Halloween war, wo die Geister angeblich mit der Dunkelheit freigelassen und bei Tagesanbruch zurück
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