Blutiges Schweigen
angetrieben von der Suche nach Gerechtigkeit, einem gebrochenen Herzen und dem Bedürfnis nach Rache, die sich in den vergangenen zehn Monaten in ihm angestaut hatten. Er ging dem Mann an die Kehle, stieß ihn zu Boden und drückte zu, bis sich seine Finger weiß verfärbten. Doch dann lief plötzlich alles ab wie in Zeitlupe. Ich war nur noch wenige Meter entfernt, als etwas im Ärmel des Mannes aufblitzte. Eine Spritze. Er schlug sie in Healys Körper. Und in der Sekunde, die Healy brauchte, um zu reagieren, war der Mann schon aufgestanden. Er sah mich an.
Es war der Mann aus dem Tiko’s.
Der Doppelgänger von Milton Sykes.
Er versenkte die Spritze in einer Manteltasche und griff in eine andere, um einen Gegenstand herauszuholen. Ein Messer kam in Sicht. Es war ein Jagdmesser: etwa fünfundzwanzig Zentimeter lang mit einem Gummigriff und einem Haken zum Ausweiden am Ende der Edelstahlklinge. Er drehte es in der Hand, sodass der Haken nach vorn zeigte, und ließ es dann vor mir durch die Luft sausen. Ich wich zurück. Meine Absätze stießen gegen eine Wohnungstür. Aber ich wandte den Blick nicht von dem Mann ab. Aus dem Augenwinkel
konnte ich Healy sehen. Er war gegen die Wand gesackt und presste eine Hand auf die Stelle über dem Herzen, wo die Spritze eingedrungen war. Ein Blutfleck sickerte durch sein Hemd. Healy war offenbar nur noch halb bei Bewusstsein. Seine Augen flackerten wie ein Fernsehbild.
Der Mann begann, sich an mir vorbeizuschieben. Das Messer immer noch ausgestreckt, steuerte er auf den einzigen Ausgang zu. Als er zwischen mir und Healy hin- und herschaute, fiel mir etwas Seltsames auf: Während seine Augen sich schnell bewegten, war der Rest seines Gesichts reglos. Absolut starr. Fast wie gelähmt. Es war ein merkwürdiger und unnatürlicher Anblick. Sobald ich einen Schritt auf ihn zu machte, stach er wieder mit dem Messer nach mir. Eine Warnung. Er wiederholte die Bewegung, als er an mir vorbeikam. Nun hatte er mich umrundet. Er brauchte sich nur noch umzudrehen und loszurennen.
Ich näherte mich langsam.
»Das würde ich nicht tun«, sagte er.
Sein Blick huschte zu Healy und dann zurück zu mir. Obwohl er leise sprach, war sein Tonfall scharf und abgehackt, als versuche er, die Stimme zu verstellen.
»Wohin wollen Sie fliehen?«, entgegnete ich und machte noch einen Schritt. Zum dritten Mal stieß er mit dem Messer nach mir. Sein Zeigefinger lag ausgestreckt auf dem Griff und dem Rand der Metallklinge. Er hielt das Messer wie ein Skalpell. Als sei er ein Chirurg. »Sie können nicht entkommen.«
Etwas blitzte in seinen Augen auf. »Sie und ich«, erwiderte er, »haben etwas gemeinsam.« Er sah Healy an, zeigte aber mit dem Messer auf mich.
»Stecken Sie das Messer weg.«
»Zwischen uns gibt es eine Verbindung.« Ein Lächeln. Steif und verkniffen. »Haben Sie mich verstanden?«
Ich musterte ihn. »Los, stecken Sie das Messer weg.«
»Haben Sie mir nicht zugehört?«
»Stecken Sie das Messer weg.«
Noch einmal stieß er nach mir. Wieder ein verkniffenes Lächeln.
»Sie können nicht vor mir davonlaufen«, verkündete ich.
»Ich weiß.« Er schaute zwischen Healy und mir hin und her. Healy war inzwischen beinahe bewusstlos. »Und deshalb werden Sie hierbleiben.«
»Auf gar keinen Fall.«
»Oh, doch.«
»Nein.«
Er ließ das Messer von links nach rechts sausen. Zisch. »Oh, doch. Sie werden bleiben, wo Sie sind … « Er hielt inne und betrachtete Healy. »Sonst wird seiner Tochter die Kehle aufgeschlitzt. Von einem Ohr zum anderen.«
Healy schlug die Augen auf und starrte den Mann an. »Wo ist sie?«, keuchte er. Der Mann sah ihn an und lächelte.
»Dazu müssen Sie erst an sie herankommen«, sagte ich.
»Falsch«, gab er zurück und stach mit dem Messer nach mir. »Sie haben hier gar nichts zu bestimmen, David. Ich ziehe die Fäden. So wie immer. Ich habe, für den Fall, dass ich aufgehalten werden sollte, Vorkehrungen getroffen, und seine Tochter …« Er fuhr sich mit der Hand über die Kehle. »Sie wird verbluten wie ein abgestochenes Schwein.«
Healy lag auf dem Boden und stöhnte.
Diesmal würdigte der Mann ihn keines Blickes. Stattdessen musterte er mich. Kurz schien er zu zögern, und seine Augen wanderten zu der Wohnung, aus der er gekommen war.
»Wir können das auch anders lösen«, meinte ich.
Er fixierte noch immer die offene Tür.
»Geben Sie mir einfach das Messer …«
»Maul halten, verdammte Scheiße!«, schrie er.
Plötzlich war er nervös
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