Blutklingen
Fackeln wurden angezündet, damit der Trupp noch eine weitere Meile zurücklegen konnte, bevor man das Lager aufschlug. »Jede Menge Mitgefühl, aber keine große Hilfe.«
»Wahrscheinlich ist Mitgefühl auch schon was«, sagte Lamm. Sie wartete, ob da noch etwas kam, aber er saß nur vornübergebeugt da und nickte zum langsamen Schritt seines Pferdes.
»Die meisten machen aber einen ganz netten Eindruck.« Sie quatschte einfach nur weiter, um die Leere zu füllen, und ärgerte sich darüber, dass sie das offenbar brauchte. »Keine Ahnung, wie die sich schlagen werden, falls die Geister anrücken und es hart auf hart kommt, aber sie sind in Ordnung.«
»Wahrscheinlich weiß man nie, wie die Leute sich schlagen, wenn es hart auf hart kommt.«
Sie sah zu ihm hinüber. »Da hast du verdammt recht.«
Er hielt kurz ihren Blick, dann sah er schuldbewusst weg. Sie öffnete den Mund, aber noch bevor sie etwas sagen konnte, drang Süß’ tiefe Stimme durch die Dämmerung und verkündete das Ende des heutigen Ritts.
WANDERER IN DER WILDNIS
T empel fuhr hastig im Sattel herum, sein Herz pochte wie wild …
Doch er sah nichts als das Mondlicht hinter Ästen, die sich leicht im Wind bewegten. Es war so dunkel, dass er kaum einmal das erkennen konnte. Vielleicht hatte er einen losen Zweig im Wind schlagen hören oder ein Kaninchen, das seinen harmlosen nächtlichen Geschäften im Gebüsch nachging, oder einen mörderischen, wilden Geisterkrieger, rot gefärbt vom Blut ermordeter Unschuldiger, der drauf und dran war, ihm bei lebendigem Leib die Haut abzuziehen und sein Gesicht als Hut zu tragen.
Er zog die Schultern hoch, als sich wieder eine kühle Brise erhob, in die Kiefern fuhr und ihn bis ins Mark erschauern ließ. Die Kompanie der Gütigen Hand hatte ihn so lange in ihrer bösen Umklammerung gehalten, dass er die körperliche Sicherheit, die sie bot, für ganz selbstverständlich erachtet hatte. Nun fehlte sie ihm sehr. Es gab viele Dinge im Leben, die man erst dann richtig schätzen lernte, nachdem man sie leichten Herzens weggeworfen hatte. Wie einen guten Mantel. Oder ein sehr kleines Messer. Oder ein paar Hundert abgebrühte Mörder und einen liebenswerten geriatrischen Schurken.
Am ersten Tag war er wie der Teufel geritten und hatte sich lediglich gesorgt, dass sie ihn fangen würden. Und dann, als der zweite Morgen kühl und voll gähnender Leere heraufzog, sorgte er sich, dass sie das nicht tun würden. Am dritten Morgen quälte ihn der Gedanke, dass sie es vielleicht noch nicht einmal versucht hatten. Die Kompanie fluchtartig zu verlassen, ohne Ziel und Ausrüstung, mitten hinein in die unerforschte Wildnis, das sah immer weniger nach dem einfachen Weg aus, den er sonst so gern gegangen war.
Tempels ersten etwa dreißig Lebensjahren war gemein, dass sie alle unter keinem besonders guten Stern gestanden hatten, doch er hatte darin die verschiedensten Rollen gespielt. Bettler, Dieb, widerwilliger Priesterschüler, nutzloser Feldscher, angeekelter Metzger, Zimmermann mit wunden Händen, für kurze Zeit auch mal liebender Ehemann und für noch kürzere Zeit liebevoller Vater, wenig später dann ein elender Trauernder und bitterer Trinker, viel zu wenig trickreicher Trickbetrüger, Gefangener der Inquisition und schließlich ihr Informant, Übersetzer, Buchhalter und Rechtskundiger, Kollaborateur der verschiedensten falschen Seiten und Komplize bei Massenmorden natürlich, bis er schließlich zuletzt und mit katastrophalen Folgen zu einem Mann mit Gewissen mutiert war. Aber Wanderer in der Wildnis war bisher noch nicht auf dieser Liste aufgetaucht.
Tempel hatte nicht einmal etwas dabei, um Feuer zu machen. Und wenn er etwas gehabt hätte, dann hätte er nicht gewusst, wie man damit umging. Er hatte aber sowieso nichts, was er hätte kochen oder braten können. Und längst hatte er neben seiner Orientierung auch allen Mut verloren. Hunger, Kälte und Angst setzten ihm jetzt weitaus mehr zu als das sanfte Aufmucken seines Gewissens. Wahrscheinlich hätte er seine Flucht sorgfältiger planen sollen, aber Flucht und sorgfältige Planung sind wie Öl und Wasser und verbinden sich schlecht miteinander. Er gab Cosca die Schuld. Und Lorsen. Und Jubair, Scheel und Sufeen. Er suchte die Schuld bei jedem Arschloch, das dafür auch nur ansatzweise infrage kam, außer natürlich bei dem, der tatsächlich die Verantwortung trug, der in seinem Sattel saß und mit jedem unangenehmen Augenblick immer kälter, hungriger und
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