Blutland - Von der Leidenschaft gerufen
betete, dass mein Gesicht nichts von dem Schauer der Erregung verriet, der mich durchlief, als er mich berührte, selbst durch all diese Stoffschichten hindurch.
»Du bist eine regelrechte Erscheinung, Letitia«, sagte er.
Jeff hatte mich immer Tish genannt; er war der Ansicht, »Letitia« klinge altmodisch und albern. Aber mir gefiel der Klang des Namens, so wie Criminy ihn aussprach, so feminin und gleichzeitig auf charmante Art förmlich.
»Gut gemacht, Cleavers. Sie haben die Rose veredelt.«
Sie machte einen kleinen Knicks, sah mich dabei aber unentwegt mit ihren schlauen Äuglein an.
»Master, wussten Sie, dass sie eine Sehende ist?«, fragte sie.
»Ach, wirklich?«, fragte er sanft.
Er ließ meine Hand los und starrte mich an. Das gewichtige Starren der beiden war erdrückend.
»Habe ich etwas falsch gemacht? Ich weiß gar nicht, was eine Sehende ist.«
»Was ist passiert?«, fragte er an uns beide gerichtet.
»Ich wollte es nicht, Sir, aber wir hatten versehentlich Hautkontakt«, sagte sie, ein wenig kleinlaut. »Ich bin gleich ganz schnell weggesprungen, also keine Sorge, was das angeht. Aber sie hatte eine Vision.«
»Faszinierend«, sagte Criminy. »Bitte erläutere das, Liebling.«
Ich erzählte ihm den Traum noch mal, so detailliert, wie ich ihn mir ins Gedächtnis rufen konnte; währenddessen hoffte ich verzweifelt, dass ich nicht so verrückt war, wie ich mich fühlte. Er hörte zu, todernst, dann befahl er: »Geben Sie mir den Puder.«
Sie gab ihm die Dose in die Hand, und er öffnete sie und schnupperte daran. Danach hob er seinen Mantel vom Boden auf, wo ich ihn liegenlassen hatte, zog ihn wieder an, richtete den Kragen und schloss die Manschetten. Dann holte er eine winzige Ampulle aus einer Innentasche, drehte den Verschluss auf und ließ einen Tropfen blauer Flüssigkeit in den Puder fallen. Es zischte, und ein kleiner grüner Rauchfaden stieg auf, der mir in den Augen brannte.
»Verdammt«, sagte er halblaut. »Cyanote.«
Mrs Cleavers schnappte nach Luft und presste die Hand an die Stirn, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen. Criminy holte derweil aus einer anderen Tasche ein Taschentuch aus schwarzer Seide. Mit ein paar schnell gemachten Knoten formte er daraus einen Beutel, in dem er anschließend die Puderdose samt Inhalt platzierte. Er machte eine schnelle Handbewegung darüber, sprach ein unverständliches Wort, schnippte kurz, und das ganze Päckchen verschwand.
Dann wischte er seine behandschuhten Hände an den Hosen ab und drehte sich wieder zu uns um. Als er sah, dass ich ihn mit offenem Mund anstarrte, fragte er mich: »Was ist?«
»Ich bin einfach nur beeindruckt«, antwortete ich. »Ich meine, der Zylinder und die Taschentücher und Kaninchen, und das Jonglieren, das sind alles ganz hübsche Standardnummern, mit ein paar Jahren Übung. Aber das gerade sah so aus, als sei es tatsächlich verschwunden. Du bist wirklich gut.«
Er lachte wieder, und auch Mrs Cleavers kicherte. »Standard? Du denkst, das ist alles? Ein wenig Übung? Es braucht fünfzig Jahre an Übung in Zauberei, um dieses kleine Döschen in meinen Schreibtisch nur ein paar Meter von hier zu sperren. Es wird noch weitere fünfzig Jahre dauern, bis ich es wirklich verschwinden lassen kann. Und hast du vergessen, dass ich dich heute Morgen auch habe verschwinden lassen?«
»Willst du damit sagen, das war echte Magie?«, fragte ich. »Das ist verrückt.«
»Tja, mal sehen. Willst du mir erzählen, dass du gerade eine Vision der Vergangenheit hattest? Dass ein Äffchen mit Zylinder versucht hat, meine Kostümschneiderin und Hauptbuchhalterin zu ermorden, indem es das stärkste Gift, das es gibt, in ihre Puderdose gekippt hat? Wenn ja, dann bin vielleicht nicht gerade ich der Verrückte hier.«
Ich sah ihn mit gerunzelter Stirn an.
»Na schön, ich bin hier der Verrückte, aber ich finde, wir passen ganz gut zusammen«, fuhr er fort. »Diese Gabe des Sehens bei dir ist eine nette Überraschung.«
»Das heißt also, als ich ihre Haut berührt habe, habe ich … die Vergangenheit gesehen? Bin ich eine Hellseherin?«
»Das bleibt abzuwarten. Wir werden deine Kräfte testen müssen, bevor wir deinen Wohnwagen bemalen.«
»Meinen Wohnwagen?«
»Natürlich, Liebes. Uns fehlt schon länger eine Wahrsagerin, und du hast mir gerade einiges an Arbeit bei der Mitarbeitersuche erspart. Man sollte ja meinen, eine echte Sehende wüsste, wann und wo sie zu einem Vorstellungsgespräch erscheinen sollte, aber
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