Blutland - Von der Leidenschaft gerufen
Mund.
»Schsch«, flüsterte er.
»Mmph-mm-hm-mph!«
Er warf einen Blick nach hinten. »Ja, das ist ein Skelett. Es ist an die Wand gekettet. Wahrscheinlich war das mal ein sehr böser Mann. Antonin gehört zu einer Untergrundbewegung gegen die Copper. Wusstest du, dass die manchmal unsere Kinder von der Straße entführen und sie dann als Missgeburten öffentlich ausbluten? Das tun sie. Und dieser Bursche hier ist schon eine ganze Weile tot, und er hat es mit Sicherheit verdient, also würde ich mir nicht allzu viele Gedanken machen.«
Ich versuchte, mich von dem Skelett abzulenken, indem ich mich im übrigen Keller umsah. Er maß etwa drei Meter im Quadrat und hatte gemauerte Steinwände, wie eine Krypta. Überall waren Spinnweben und Staub. Hätte ich es inzwischen nicht besser gewusst, ich hätte Ausschau nach einem Sarg gehalten.
Auf dem Boden neben dem Skelett lagen einige Werkzeuge, die mich den Blick abwenden ließen: Sachen zum Schneiden, Sachen zum Stechen, und etwas, das aussah wie die Batterie eines Golfmobils.
Und dann öffnete sich die Tür über uns, und Licht flutete herein. Antonins Gesicht erschien in der Öffnung.
»Ihr könnt raufkommen. Sie sind weg.«
Ich sprang beinahe in einem Satz aus dem Keller. Criminy folgte etwas gemesseneren Schrittes.
»Ich nehme an, ihr habt Anabella und Mr Rapture getroffen«, stellte Antonin fest.
»Eine kurze Warnung wäre schön gewesen«, gab ich zurück.
»Ich dachte mir, der tote Copper da unten wäre euch lieber als die lebendigen hier oben«, meinte er mit einem Schulterzucken. »Die suchen nach euch. Wie kommt’s?«
»Du zuerst«, sagte Criminy und ließ sich in einen Sessel sinken.
»Auf ihren Kopf ist eine Belohnung ausgesetzt«, erzählte Antonin. »Ein weiblicher Fremdling mit bösen Absichten, in einem burgunderroten Kleid, wie es letztes Jahr in Mode war. In ihrer Begleitung ein Bludmann in schwarzem Mantel und Zylinder, hat ein Kupferäffchen bei sich. Wurden zuletzt beim Aderlasser in der Fleet Street gesehen.«
»Du meinst, bei dem kürzlich verstorbenen Aderlasser in der Fleet Street?«, fragte Criminy.
»Nun, ich glaube in der Tat, dass ein beklagenswertes Schicksal auf Mr Ariel wartet«, antwortete Antonin mit einem schelmischen Lächeln. Für einen kurzen Augenblick wurde seine angeborene Neigung zur Gewalt sichtbar, wie eine Haifischflosse, die aus dem Wasser ragt, doch gleich darauf war er wieder ein einfacher Schneider in einem zitronengelben Zimmer, der sich seinen Lockenkopf raufte.
Pemberly tauchte auf und schwang sich wieder auf Criminys Schulter. »Wir sollten gehen, bevor wir dich noch mehr in Schwierigkeiten bringen.«
»Ihr brauchtet noch Informationen?«, fragte Antonin.
»Ach, ja. So viel zu Smalltalk bei einem Tröpfchen Blut. Was kannst du uns über den Magistrat sagen?«
»Jonah Goodwill. Alter Bastard mit einem großen Schnurrbart und einem noch größeren Hass auf alles, was nicht menschlich ist. Lebt in der Priorei neben der Kathedrale auf dem Berggipfel. Hat dort sein eigenes kleines Paradies aus Gärten und Obstbäumen. Haus Eden. Alles das, was seine dankbaren Bürger niemals haben werden. Wir versuchen schon seit Jahren, uns Zutritt dort zu verschaffen, aber niemand kommt nahe genug ran. Jeder, der es versucht, verschwindet.«
»Den suchen wir«, stellte Criminy fest. »Er ist selbst ein Fremdling. Und offenbar weiß er, dass wir kommen.«
»Ich habe ihn beim Wanderzirkus getroffen, aber ich verstehe immer noch nicht, wie er wissen konnte, dass ich auch ein Fremdling bin«, sagte ich bedrückt.
Antonins Hand schnellte auf mich zu, aber Criminy fing sie ab. Antonin schüttelte ihn mit einem Schnauben ab und strich sachte über mein Ohrläppchen.
»Glaubst du, irgendwer in dieser gottverlassenen Welt würde sich absichtlich Löcher in die Haut stechen?«, fragte er sanft.
Ich griff mir ans Ohrläppchen und fühlte dort das winzige Loch, das sich schon seit meinem achten Geburtstag dort befand.
***
Wenn man eine Verkleidung braucht, ist eine Schneiderei einer der besten Orte, an dem man sich befinden kann. Mein burgunderrotes Kleid war verschwunden, stattdessen war ich nun in marineblauen Taft gewandet, dessen schimmernde Rüschen bei jeder Bewegung raschelten. Auch meine schwarze Haube war verschwunden, ersetzt durch einen großen Strohhut mit einem Strauß aus Federn. Seine Vorbesitzerin war eine sehr nervöse alte Dame gewesen, sodass meine verräterischen Ohren nun gut von schwarzem Spitzenstoff
Weitere Kostenlose Bücher