Blutlinie der Götter: Die Berrá Chroniken Band 1 (German Edition)
Die dunkle gespaltene Zunge, welche sich in der Mundhölle räkelte, zuckte hervor und machte den Anschein als wolle sie das Wasser um Alkeer herum einsaugen. Plötzlich konnte er erkennen wie das Gelbe in den kalten schwarzen Pupillen aufflackerte und das Ungeheuer wild seinen Kopf hin und her warf, bevor es blitzartig an ihm vorbeizog, um in die undurchschaubare Finsternis hinabzutauchen.
Alkeers Augen drohten aus ihren Höhlen zu kommen, als er den gewaltigen Leib der Kreatur unter sich verschwinden sah. Ein Wesen von dieser Größe hatte er noch nie zuvor gesehen. Jetzt wusste er, dass die Sagen um Meeresungeheuer, welche ganze Flotten vernichteten, tatsächlich der Wahrheit entsprachen. Verzweifelt, da er dem Monster zwar nicht zum Opfer gefallen, jedoch immer noch in der dunklen Tiefe gefangen war, versuchte Alkeer einen klaren Gedanken zu fassen.
Sollte ich mich freuen, dass dieses Untier mich nicht gefressen hat oder sollte ich mich vielleicht eher mit der Tatsache vertraut machen, dass ich solange weiter in den Tiefen des Meeres treibe bis ein noch schlimmeres Monster sich meiner annimmt? Vielleicht ist dies alles auch nur ein Traum. Wie könnte es sonst sein, dass ich noch lebe? Ich hätte doch längst ertrinken oder im kalten Wasser erfrieren müssen. Außerdem konnte eine solche Kreatur doch nur meiner Fantasie entspringen. Dieses Schlangenmonster konnte doch gar nicht in Wirklichkeit existieren.
Langsam begann Alkeer zu begreifen, dass er völlig hilflos war. Unfähig etwas an seiner Lage zu verändern schloss er seine Augen und gab sich der Stille des Meeres hin. Er konnte hören wie das Wasser an seinen Ohren vorbeirauschte und wie sich hoch über ihm die Wellen auf der Oberfläche kräuselten. Feine Sandkörner glitten ihm über seine nackte Haut und kleine Fische schwammen in Schwärmen um ihn herum. Seine Kleidung hatte er sich beim Versuch aufzutauchen fast vollständig vom Leib gerissen. Nur seine dünne Leinenhose war ihm geblieben. Instinktiv griff er sich an die Brust und spürte den Anhänger seines Großvaters auf seiner Haut. Fest, so als könnte dieser ihm helfen, umfasste er das Familienerbstück und dachte wieder an seine Eltern. Beim Gedanken an seinen Vater begann er zu weinen.
Wo bist du Vater? Warum kommst du nicht und hilfst deinem Sohn? Ich brauche dich doch!
Seine Tränen vermischten sich mit dem kalten Salzwasser. Alkeer hatte das Gefühl, er selbst wäre es gewesen, der ein Meer aus Tränen geschaffen hatte. In seinem Kopf wechselten sich die Bilder des Vaters mit denen seiner Mutter ab. Langsam merkte er wie die Erinnerung zu ihm zurückkam. Bevor er in die Fluten gestürzt war sah er ein Bild seiner Mutter. Sie sprach zu ihm. Worte der Hoffnung und der Zuversicht drangen an sein Ohr. Doch dann war irgendetwas passiert. Etwas hatte sich verändert als er nach dem Bildnis seiner Mutter greifen wollte. Angestrengt biss sich Alkeer auf die Lippen und versuchte sich zu erinnern. Doch während er sich bemühte die Lücken in seinem Geist zu füllen, spürte er einen Sog im Wasser. Panisch riss er die Augen auf und drehte sich in alle Richtungen um. Er konnte nicht sagen von wo diese Strömung kam. Es war als bewegte sich das Wasser auf ihn zu. Doch nirgends war etwas zu erkennen. Die Stille um ihn herum begann sich zu verändern. Die Fischschwärme zuckten ein paar Mal hin und her und verschwanden genauso schnell wie sie gekommen waren. Ein Geräusch war zwar immer noch nicht zu hören, jedoch glaubte er das Wasser lege sich wie eine Schlinge um ihn, die sich langsam zuzog. Es drückte ihn zusammen und verursachte leichte Übelkeit. Schließlich blickte er unter sich. Zwischen seinen Füßen hindurch konnte er erkennen was geschah. Dennoch wünschte er sich es niemals gesehen zu haben. Das Schlangenmonster war zurückgekehrt. Mit aufgerissenem Maul, welches den Eindruck eines lauten Schreis vermittelte, schoss das Untier aus der Tiefe empor und hielt direkt auf Alkeer zu.
Nun hast du es dir wohl doch anders überlegt. Wohl an. Bringen wir es zu Ende!
Er nahm all seinen Mut zusammen und blickte der Bestie direkt in die Augen. Alkeer konnte vielleicht nicht kämpfend sterben, aber er würde sich auf keinen Fall seiner Angst ergeben.
Was hat Gér Malek mir gesagt? „Kämpfe tapfer und sterbe aufrecht!“ Dann werde ich jetzt wohl tapfer sein!
Alkeer glaubte den Schrei der Bestie zu vernehmen als diese auf ihn zustürmte. Weniger wie ein Tier, sondern eher wie eine Naturgewalt,
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