Blutmale
genügte, um alles zu erfassen - das Blut, die verrenkten Arme, die entstellten Gesichter. Die Gesichter von Giorgio und Paolo, ihre Leiber verschlungen in einer letzten Umarmung.
Sie prallte zurück, die Hand vor den Mund geschlagen, und ein Schleier von Tränen trübte ihren Blick. Meine Schuld. Das ist alles meine Schuld. Sie wurden meinetwegen ge tötet.
Rückwärts taumelte sie durch die Lavendelbeete und stieß gegen die hölzerne Pforte. Der Ruck brachte sie wieder zur Be sinnung.
Lauf weg. Schnell.
Sie stürzte aus dem Garten, ohne die Pforte hinter sich zu schließen, und flüchtete die Straße hinunter. Das klatschende Geräusch ihrer Sandalen hallte von den Pflastersteinen wider.
Erst als sie den Stadtrand von Siena erreicht hatte, verlangsamte sie ihren Schritt.
9
»Sind wir absolut sicher, dass es ein zweites Opfer gibt ?«, fragte Lieutenant Marquette. »Die DNA-Bestätigung liegt noch nicht vor.«
»Aber was wir haben, sind zwei verschiedene Blut gruppen«, entgegnete Jane. »Die abgetrennte Hand gehört zu einer Person mit Blutgruppe 0 negativ. Lori-Ann Tucker hatte A positiv. Dr. Isles lag also hundertprozentig richtig.«
Im Besprechungsraum trat eine lange Pause ein.
Dann sagte Dr. Zucker leise: »Das wird ja allmählich höchst interessant.«
Jane sah ihn über den Tisch hinweg an. Der durchdrin gende Blick des forensischen Psychologen Dr. Lawrence Zucker hatte ihr schon immer Unbehagen bereitet. Auch jetzt fixierte er sie, als wäre sie und nur sie allein das Objekt seiner Neugier, und sie konnte beinahe spüren, wie sein Blick sich in ihr Gehirn bohrte. Sie hatte vor zweieinhalb Jahren bei den Ermittlungen im Fall des Chirurgen mit ihm zusammengearbeitet, und Zucker wusste genau, wie sehr die Ereignisse sie traumatisiert hatten. Er wusste von ihren Albträumen, ihren Panikattacken. Er hatte beobachtet, wie sie pausenlos an den Narben in ihren Handflächen rieb, als wollte sie die Erinnerungen wegmassieren. Inzwischen träumte sie nicht mehr so oft von Warren Hoyt. Aber wenn Zucker sie so ansah, kam sie sich aufs Neue ausgeliefert vor, weil er genau wusste, wie verletzlich sie damals gewesen war. Und das nahm sie ihm übel.
Sie brach den Blickkontakt ab und konzentrierte sich stattdessen auf die beiden anderen Detectives im Raum, Barry Frost und Eve Kassowitz. Es war ein Fehler gewesen, Kassowitz ins Team zu holen. Inzwischen hatte es sich im Dezernat herumgesprochen, dass sie am Tatort auf offener Straße in den Schnee gekotzt hatte, und Jane hatte genau gewusst, dass die Kollegen sie damit aufziehen würden. Am Tag nach Weihnachten war auf unerklärliche Weise ein riesiger Plas tik eimer auf dem Empfangstresen des Dezernats aufgetaucht, beschriftet mit Kassowitz' Namen. Die Frau hätte einfach darüber lachen und die Sache vergessen sollen. Oder wenigstens einen anständigen Wutanfall bekommen. Stattdessen hatte sie mit einer Miene wie ein geprügeltes Seehundbaby an ihrem Schreibtisch gehockt, so demoralisiert, dass sie fast kein Wort herausgebracht hatte. Wenn sie nicht bald lernte zurückzuschlagen, hätte sie in diesem Männerclub nicht den Hauch einer Chance.
»Wir haben es also mit einem Mörder zu tun«, fuhr Zucker fort, »der nicht nur seine Opfer zerstückelt, sondern auch Leichenteile von einem Tatort zum nächsten transportiert. Haben Sie ein Foto von dieser Hand?«
»Wir haben jede Menge Fotos«, antwortete Jane. Sie reichte Zucker den Obduktionsbericht. »Vom Äußeren her sind wir uns ziemlich sicher, dass es sich um eine Frauenhand handelt.«
Die Bilder waren so grausig, dass es jedem normalen Menschen den Magen umgedreht hätte, aber Zuckers Miene verriet weder Schock noch Abscheu, als er in der Akte blät terte. Nur lebhafte Neugier. Oder war das gar Enthusias mus, was Jane da in seinen Augen las? Genoss er den Anblick der Gräuel, die dem Körper einer jungen Frau angetan worden waren?
Beim Foto der Hand verweilte er länger. »Kein Nagellack, aber die Finger sehen eindeutig manikürt aus. Ja, ich bin auch der Meinung, dass es sich um die Hand einer Frau handelt.« Er sah Jane an, fixierte sie mit seinen hellen Augen über den Rand seiner Nickelbrille hinweg. »Was haben Sie über diese Fingerabdrücke herausgefunden?«
»Die Besitzerin der Hand ist nicht vorbestraft und war nicht beim Militär. Keine Treffer in der NCIC-Datei.«
»Sie ist nirgends registriert?«
»Jedenfalls nicht mit ihren Fingerabdrücken.«
»Und diese Hand ist auch kein
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