Blutmale
rein.«
Jane schlug die Mappe auf. Zuoberst lag ein Bogen mit einer Serie von Fotografien. Rote Kleckse vor einem verschwommenen Hintergrund.
»Ich habe zunächst Aufnahmen mit einem starken Lichtmikroskop gemacht«, sagte Erin. »Ungefähr sechshundert- bis tausendfache Vergrößerung. Diese Kleckse, die Sie da sehen, sind Pigmentpartikel, die aus dem roten Kreis am Küchenboden stammen.«
»Und was hat das nun zu bedeuten?«
»So einiges. Sie können sehen, dass der Grad der Farbintensität variiert. Diese Partikel sind nicht gleichförmig. Der Brechungsindex variiert auch, zwischen 2,5 und 3,01. Und viele dieser Partikel sind doppelbrechend.«
»Und das heißt?«
»Es handelt sich um Partikel von wasserfreiem Eisenoxid. Eine recht verbreitete Substanz, die auf der ganzen Welt vorkommt. Sie gibt zum Beispiel Tonerde ihre charakteristi sche Färbung. Eisenoxid wird in Künstlerfarben verarbeitet, um rote, gelbe und braune Pigmente herzustellen.«
»Das klingt, als wäre es nichts Besonderes.«
»Das dachte ich auch, bis ich mich intensiver mit der Sache beschäftigt habe. Ich ging davon aus, dass es sich um ein Stück Kreide oder Pastellfarbe handelte, also habe ich die Substanz mit Proben verglichen, die wir uns aus zwei hiesigen Geschäften für Künstlerbedarf besorgt haben.«
»Und gab es Übereinstimmungen?«
»Nein. Der Unterschied war unter dem Mikroskop sofort zu erkennen. Zunächst einmal zeigten die roten Pigmentkörnchen in den Pastellstiften eine weit geringere Variabilität in Farbspektrum und Brechungsindex. Das liegt daran, dass das wasserfreie Eisenoxid, das heutzutage für Farben verwendet wird, in der Regel synthetisch ist - es wird künstlich hergestellt und nicht aus der Erde gewonnen. Meist wird eine Mischung verwendet, die als Marsrot bekannt ist, zusammengesetzt aus Eisen- und Aluminiumoxiden.«
»Und diese Pigmentkörnchen hier auf dem Foto sind also nicht synthetisch?«
»Nein, das ist natürlich vorkommendes wasserfreies Eisenoxid. Es wird auch Hämatit genannt. Der Name leitet sich von dem griechischen Wort für Blut ab, und man findet auch die Bezeichnung Blutstein oder Rötel.«
»Wird diese natürliche Substanz auch für Künstlerbedarf verwendet?«
»Wir haben ein paar Spezialkreiden und Pastellstifte gefunden, die natürlichen Hämatit als Pigment verwenden. Aber Kreide enthält in der Regel Kalziumkarbonat, und in industriell hergestellten Pastellstiften wird zumeist ein natürlicher Leim verwendet, um das Pigment zu binden. Irgendeine Art Stärke, wie etwa Methylzellulose oder Traganthgummi. Das alles wird zu einer Paste vermengt, die anschließend durch eine Form gepresst wird, um die Stifte herzustellen. In keiner der Proben vom Tatort haben wir Spuren von Traganthgummi oder anderen stärkehaltigen Bindemitteln gefunden. Und wir haben auch nicht so viel Kalziumkarbonat gefunden, dass wir auf die Verwendung einer farbigen Kreide hätten schließen können.«
»Dann haben wir es also mit etwas zu tun, was man kaum in einem Laden für Künstlerbedarf finden wird.«
»Jedenfalls nicht hier in Boston.«
»Und wo kommt dieses rote Zeug nun her?«
»Nun, reden wir doch zuerst einmal über dieses rote Zeug selbst. Darüber, was es genau ist.«
»Sie nannten es Hämatit.«
»Richtig. Wasserfreies Eisenoxid. Aber wenn es in farbigem Ton gefunden wird, hat es auch noch einen anderen Namen: Ocker.«
»Ocker?«, meldete sich Frost zu Wort. »Ist das nicht das Zeug, was die Indianer für ihre Kriegsbemalung benutzt haben?«
»Ocker wird seit mindestens dreihunderttausend Jahren von Menschen genutzt. Er wurde sogar in Neandertaler-Gräbern gefunden. Insbesondere roter Ocker scheint allgemein bei Totenzeremonien sehr beliebt gewesen zu sein, vermutlich wegen seiner Ähnlichkeit mit Blut. Man findet ihn in Stein zeitmalereien und an den Wänden von Pompeji. Die Alten benutzten ihn als Körperfarbe, sei es als Schmuck oder als Kriegsbemalung. Und er wurde bei magischen Ritualen verwendet.«
»Auch bei satanischen Zeremonien?«
»Es ist die Farbe des Blutes. Ganz gleich, welcher Religion man angehört, diese Farbe ist immer von hoher Symbolkraft.« Erin machte eine Pause. »Dieser Täter hat einen ziemlich ausgefallenen Geschmack.«
»Ich glaube, das wissen wir bereits.«
»Was ich meine, ist, dass er geschichtlich bewandert ist. Für seine rituellen Zeichnungen benutzt er keine gewöhnliche Kreide. Stattdessen wählt er ein primitives Pigment, das bereits im Paläolithikum
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