Blutmale
komplett neu eingerichtet. Schönes Ledersofa, Großbildfernseher. Ich kaufe ein paar Kästen Bier, lade mir ein paar Freunde ein, und los geht die Party, yeah !«
Unversehens hatte er sich in einen fünfundfünfzigjährigen Teenager mit Schmerbauch und überkämmter Glatze verwandelt. Ging es noch ein bisschen peinlicher?
»Ihr kommt doch auch, nicht wahr?«, fragte er Jane. »Zweiter Samstag im Januar.«
»Ich muss Gabriel fragen, ob er da Zeit hat.«
»Wenn er verhindert ist, kannst du auch gern allein kommen. Aber vergiss ja nicht, deine ältere Schwester hier mitzubringen!« Er zwinkerte Angela zu, und sie kicherte.
Das wurde ja von Minute zu Minute unerträglicher. Jane war beinahe erleichtert, als sie das gedämpfte Klingeln ihres Handys hörte. Sie ging ins Wohnzimmer, wo sie ihre Tasche abgestellt hatte, und kramte das Mobiltelefon hervor.
»Rizzoli«, meldete sie sich.
Lieutenant Marquette hielt sich nicht lange mit Höflichkeiten auf. »Sie müssen Anthony Sansone mit mehr Respekt behandeln«, sagte er.
Sie hörte Korsak drüben in der Küche lachen, und das Geräusch ging ihr plötzlich auf die Nerven. Wenn du schon un bedingt mit meiner Mutter flirten musst, dann mach's bitte woanders.
»Wie ich höre, haben Sie ihm und seinen Freunden hart zugesetzt«, sagte Marquette.
»Vielleicht könnten Sie mal erläutern, was Sie mit hart zu gesetzt meinen.«
»Sie haben ihn fast zwei Stunden lang verhört. Sie haben sei nen Butler und seine Gäste in die Mangel genommen. Sie haben ihm den Eindruck vermittelt, dass er derjenige ist, gegen den ermittelt wird.«
»Ach, das tut mir aber aufrichtig leid, dass ich seine Gefühle verletzt habe. Wir haben nur das getan, was wir immer tun.«
»Rizzoli, versuchen Sie, sich zu merken, dass dieser Mann nicht tatverdächtig ist.«
»Zu diesem Schluss bin ich noch nicht gelangt. O'Donnell war in seinem Haus. Eve Kassowitz wurde in seinem Gar ten ermordet. Und als sein Butler die Leiche findet, was tut Sansone da? Er macht Fotos. Und lässt sie bei seinen Freunden herumgehen. Wollen Sie die Wahrheit hören? Diese Leute sind nicht normal. Am allerwenigsten dieser Sansone.«
»Er ist nicht tatverdächtig.«
»Ich habe ihn noch nicht aus dem Kreis der Verdächtigen aus geschlossen.«
»In diesem Punkt können Sie mir vertrauen. Lassen Sie ihn in Frieden.«
Sie schwieg einen Moment. »Wollen Sie mir vielleicht noch ein bisschen mehr erzählen, Lieutenant?«, fragte sie leise. »Was sollte ich über Anthony Sansone wissen?«
»Er ist jemand, mit dem wir es uns nicht verscherzen sollten.«
»Kennen Sie ihn?«
»Nicht persönlich. Ich gebe nur weiter, was mir von oben aufgetragen wurde. Wir sollen ihn respektvoll behandeln.«
Sie legte auf und trat ans Fenster, starrte hinaus in den Nach mittagshimmel, der nun nicht mehr blau war. Wahrscheinlich würden sie noch mehr Schnee bekommen. Gerade meint man noch, man könnte unendlich weit sehen, und im nächsten Moment schieben sich Wolken dazwischen und ver decken alles.
Sie griff wieder nach dem Handy und begann zu wählen.
17
Maura beobachtete durch das Sichtfenster, wie Yoshima, der sich eine Bleischürze umgebunden hatte, den Kollimator über dem Unterleib des Leichnams positionierte. Manche Leute gingen am Montagmorgen zur Arbeit und mussten allenfalls fürchten, einen allzu vollen Eingangskorb oder eine Flut von Nachrichten auf ihrem Schreibtisch vorzufinden. Was Maura an diesem Montagmorgen erwartet hatte, war die Frau, die - inzwischen vollständig entkleidet - dort auf dem Seziertisch lag. Maura sah Yoshima hinter dem Bleischirm hervorkommen und die Filmkassette herausnehmen, um sie zum Entwickeln zu bringen. Er blickte auf und nickte ihr zu.
Maura stieß die Tür des Obduktionssaals auf und ging wieder hinein.
In der Nacht, als sie zitternd in Anthony Sansones Garten gekauert hatte, war diese Tote nur von Taschenlampen angestrahlt worden. Heute lagen die sterblichen Überreste von Detective Eve Kassowitz im grellen Schein der OP-Lampen, die jeden Zentimeter ihres Körpers gnadenlos ausleuchteten. Das Blut war abgewaschen worden, und die frischen, rosafarbenen Wunden waren deutlich zu erkennen. Eine Platzwunde am Kopf. Eine Stichverletzung in der Brust, unterhalb des Brust beins. Und die lidlosen Augen, deren freiliegende Hornhäute sich in der Zwischenzeit getrübt hatten. Das war es, was Mauras Blick unwiderstehlich anzog: diese verstümmelten Augen.
Das Geräusch der Schwingtür kündigte Besuch an.
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