Blutmale
entschlos sen, das ganze Geschlecht auszulöschen.«
In meinen Adern fließt das geheiligte Blut der Jäger.
Dies sind Geheimnisse, von denen nicht einmal mein ver wirrter und weltfremder Vater wusste. Die Verbindung zwi schen meinen Eltern war eher praktischer Natur. Doch das Band zwischen meiner Mutter und mir ist zeitlos und um spannt Kontinente, und es reicht bis in meine Träume hinein. Sie ist unzufrieden mit mir.
Und so führe ich an diesem Abend eine Ziege in den Wald.
Sie sträubt sich nicht, weil sie nie den Stachel mensch licher Grausamkeit gefühlt hat. Der Mond scheint so hell, dass ich keine Taschenlampe brauche, um den Weg zu fin den. Hinter mir höre ich das verwirrte Meckern der anderen Ziegen, die ich soeben aus dem Stall des Bauern herausge lassen habe, doch sie folgen mir nicht. Ihre Rufe werden lei ser, als ich tiefer in den Wald eindringe, und nun höre ich nur noch das Geräusch meiner eigenen Schritte und das Trap peln der Ziegenhufe auf dem Waldboden.
Als wir weit genug gegangen sind, binde ich die Ziege an einen Baum. Das Tier scheint etwas zu ahnen und beginnt, ängstlich zu meckern, während ich meine Kleider ablege, mich bis auf die Haut ausziehe. Ich knie mich auf das Moos. Die Nacht ist kühl, doch wenn ich zittere, dann nur vor ge spannter Erwartung. Ich hebe das Messer und spreche die rituellen Worte, die mir so leicht über die Lippen kommen wie eh und je. Gepriesen sei unser Herr Seth, der Gott meiner Ahnen. Der Gott des Todes und der Zerstörung. Durch viele Jahrtausende hat er unsere Taten gelenkt, hat uns von der Levante nach Phönizien und Rom geführt, in alle Winkel der Erde. Wir sind überall.
In einer heißen Fontäne schießt das Blut hervor.
Als es vorbei ist, gehe ich - nackt bis auf meine Schuhe - hinunter zum See. Im Mondschein wate ich ins Wasser und wasche das Blut der Ziege ab. Gereinigt und erfrischt steige ich ans Ufer. Erst als ich meine Kleider anziehe, verlangsamt sich allmählich mein Herzschlag, und die Erschöpfung legt plötzlich ihren schweren Arm um meine Schulter. Ich könnte fast auf dem Gras einschlafen, aber ich wage nicht, mich hin zulegen; ich bin so müde, dass ich vielleicht erst am hellen Tag wieder aufwachen würde.
Ich stapfe zurück zum Haus. Als ich oben ankomme, sehe ich sie. Lily steht am Rand des Rasens, eine schlanke Silhou ette, und ihr Haar schimmert im Mondlicht. Sie sieht mich an.
»Wo bist du gewesen?«, fragt sie.
»Ich war schwimmen.«
»Im Dunkeln?«
»Das ist die beste Zeit.« Langsam gehe ich auf sie zu. Sie steht vollkommen reglos, selbst als ich so nahe trete, dass wir uns fast berühren. »Das Wasser ist warm. Niemand kann dich sehen, wenn du nackt schwimmst.« Meine Hand ist kühl vom Seewasser, und sie zittert, als ich ihre Wange streichle. Ist es Angst oder Faszination? Ich weiß es nicht. Was ich weiß, ist, dass sie mich die letzten Wochen über beobachtet hat, so wie ich sie beobachtet habe, und dass sich irgendetwas zwischen uns abspielt. Es heißt, dass das Böse seinesgleichen stets erkennt. Irgendwo in ihrem Innern hat die Finsternis meinen Ruf vernommen und erwacht zum Leben.
Ich trete noch näher. Sie ist älter als ich, aber ich bin grö ßer, und mein Arm legt sich leicht um ihre Taille, als ich mich zu ihr hinabbeuge. Als unsere Hüften sich berühren.
Der Schlag ins Gesicht lässt mich taumelnd zurückwei chen.
»Wage es nicht noch einmal, mich anzurühren«, sagt sie. Dann macht sie kehrt und geht zum Haus zurück.
Meine Wange brennt noch immer. Ich stehe noch eine Weile in der Dunkelheit und warte, bis der Abdruck ihrer Hand auf meiner Haut verblasst ist. Sie ahnt nicht, wer ich in Wirklichkeit bin, wen sie gerade gedemütigt hat. Sie ahnt nicht, was die Folgen sein werden.
In dieser Nacht finde ich keinen Schlaf.
Stattdessen liege ich wach und denke an die Lektionen, die meine Mutter mich gelehrt hat, über den Wert der Ge duld, die Kunst des Abwartens. »Keine Beute bringt dir so viel Befriedigung wie die, auf die du lange warten musstest.« Als die Sonne am nächsten Morgen aufgeht, liege ich noch im Bett und denke über die Worte meiner Mutter nach. Und auch über diese demütigende Ohrfeige. Über die vielen Re spektlosigkeiten, die Lily und ihre Freundinnen sich mir ge genüber erlaubt haben.
Unten in der Küche macht Tante Amy das Frühstück. Ich rieche frisch gebrühten Kaffee und Speck, der in der Pfanne brutzelt. Und ich höre sie rufen: »Peter? Hast du mein Aus beinmesser
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