Blutmale
lassen sollen?«
»Vielleicht, weil sie glaubte, sie hätte ihn unter Kontrolle. Denk doch nur an die vielen Gefängnisse, die sie besucht hat, an die vielen Täter vom Schlage eines Warren Hoyt oder einer Amalthea Lank, die sie interviewt hat. Zu allen hatte sie ein enges persönliches Verhältnis aufgebaut.«
Bei der Erwähnung ihrer Mutter zuckte Maura zusammen, sagte aber nichts.
»Sie war wie diese Löwendompteure im Zirkus. Du arbeitest jeden Tag mit den Viechern, und du denkst, du hast sie im Griff. Du erwartest, dass sie jedes Mal kuschen und springen wie brave Kätzchen, wenn du mit der Peitsche knallst. Vielleicht glaubst du sogar, dass sie dich lieben. Und dann kehrst du ihnen eines Tages den Rücken zu, und sie beißen dir das Genick durch.«
»Ich weiß, du hast sie nie leiden können«, sagte Maura.
»Aber wenn du dabei gewesen wärst, wenn du mit angesehen hättest, wie sie starb«, sie sah Jane in die Augen, »dann hättest du gesehen, dass sie panische Angst hatte.«
»Nur weil sie tot ist, werde ich nicht plötzlich anfangen, sie zu mögen. Sie ist jetzt ein Mordopfer, also bin ich ihr meinen vollen Einsatz schuldig. Aber ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, dass sie sich das alles selbst eingebrockt hat.«
Jemand klopfte von außen an die Scheibe, und Jane ließ das Fenster herunter. Ein Polizist spähte herein und sagte: »Mr. Sansone will wissen, ob Sie mit seiner Vernehmung fertig sind.«
»Nein, sind wir nicht. Sagen Sie ihm, er soll warten.«
»Und der Rechtsmediziner packt schon seine Sachen zusammen. Haben Sie noch irgendwelche Fragen an ihn?«
»Wenn mir noch was einfällt, rufe ich ihn an.«
Durch das Fenster sah Maura ihren Kollegen Dr. Abe Bristol aus dem Haus kommen. Abe würde bei O'Donnell die Obduktion durchführen. Falls ihn das, was er gerade im Haus gesehen hatte, erschüttert hatte, ließ er es sich nicht anmerken. Er blieb auf der Veranda stehen, knöpfte in aller Ruhe sei nen Mantel zu und zog sich warme Handschuhe an, während er mit einem Polizisten plauderte. Abe hat nicht mit an sehen müssen, wie sie starb , dachte Maura. Sein Mantel ist nicht mit ihrem Blut bespritzt.
Jane stieß die Wagentür auf, und wieder strömte ein kalter Luftzug herein. »Komm jetzt, Maura«, sagte sie, während sie ausstieg. »Sehen wir zu, dass wir dich nach Hause bringen.«
»Mein Wagen steht noch am Beacon Hill.«
»Den kannst du später noch holen. Ich hab dir eine Mitfahrgelegenheit organisiert.« Jane drehte sich um und rief: »Pater Brophy! Sie wäre jetzt so weit.«
Erst jetzt bemerkte Maura ihn. Er hatte im Dunkeln auf der anderen Straßenseite gestanden und kam nun auf sie zu, eine hoch aufragende Gestalt, deren Gesichtszüge erst zu erkennen waren, als sie vom flackernden Schein des Blaulichts erfasst wurden. »Sind Sie sicher, dass Ihnen nichts fehlt?«, fragte er, während er ihr aus dem Wagen half. »Sie wollen nicht ins Krankenhaus?«
»Bitte fahren Sie mich einfach nur nach Hause.«
Er bot ihr seinen Arm, um sie zu stützen, doch sie nahm ihn nicht, sondern behielt die Hände in den Manteltaschen, als sie zu seinem Wagen gingen. Sie spürte die Blicke der Polizisten in ihrem Rücken. Dr. Isles und dieser Priester - schon wieder steckten die zwei zusammen. Gab es noch irgendeinen, dem es nicht aufgefallen war, der nicht gerätselt hatte, was da zwischen ihnen lief?
Da gibt es nichts zu rätseln, weil da absolut nichts läuft.
Sie ließ sich in den Beifahrersitz seines Wagens sinken und blickte starr vor sich hin, während er den Motor anließ. »Danke«, sagte sie.
»Sie wissen, dass ich das jederzeit für Sie tun würde.«
»Hat Jane Sie angerufen?«
»Ich bin froh, dass sie es getan hat. Sie brauchen heute Abend einen Freund, der Sie nach Hause bringt. Nicht irgendeinen Cop, den Sie kaum kennen.« Er fuhr vom Bordstein los, und die grellen Lichter der Einsatzfahrzeuge verschwanden hinter ihnen in der Dunkelheit. »Sie haben heute Abend Ihr Leben aufs Spiel gesetzt«, sagte er leise.
»Glauben Sie mir, das war nicht meine Absicht.«
»Sie hätten dieses Haus nicht betreten dürfen. Sie hätten die Polizei rufen sollen.«
»Könnten wir bitte über etwas anderes sprechen?«
»Gibt es überhaupt noch irgendetwas, worüber wir reden können, Maura? Oder wird es von jetzt an immer so sein? Dass Sie mir aus dem Weg gehen, dass Sie mich nie zurückrufen?«
Jetzt endlich sah sie ihn an. »Ich werde nicht jünger, Daniel. Ich bin einundvierzig, meine
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