Blutmond - Wilsberg trifft Pia Petry - Kriminalroman
ich zu ihr.
»Warum?«
»Ich muss in die Hotelküche und Teller spülen.«
»Pia ...«
»Ich kann meine Minibarrechnung nicht bezahlen«, flüstere ich. »Und mein Auto bin ich auch los.«
»Und jetzt soll ich dich auslösen?«, flüstert sie zurück.
»Das wäre nett.«
»Gib mir zehn Minuten«, sagt sie und legt auf.
Nach fünfzehn Minuten ist Renate immer noch nicht da. Aber das habe ich auch nicht anders erwartet. Pünktlichkeit war noch nie ihre Stärke. Ich setze mich in einen tiefroten Sessel, gruppiere mein Gepäck um mich herum und beschäftige mich mit einer dieser Frauenzeitschriften, die mich schon seit zehn Jahren nicht mehr interessieren. Den ersten Artikel über die Beziehungsprobleme großstädtischer Singlefrauen mit bindungsunwilligen Kabriofahrern lese ich zweimal und kapiere ihn trotzdem nicht. Doch dann vertiefe ich mich in einen Bericht über die neuesten Verfahren der Schönheitschirurgie. Schwer beeindruckt von den Ergebnissen schonenden Laserliftings, ein Thema, das in meinem Alter zunehmend an Relevanz gewinnt, bemerke ich nicht, dass jemand hereinkommt, den ich kenne. Erst als er sich mir gegenüber in den Sessel fallen lässt, sehe ich hoch und zucke zusammen.
»Müssen Sie mich eigentlich immer so erschrecken?«
»War nicht meine Absicht«, sagt Wilsberg kühl und genauso kühl deutet er auf mein Gepäck. »Reisen Sie etwa schon ab?«
»Geht Sie das etwas an?«
Er beugt sich vor und die kleine Falte über seiner Nase zeigt mir, dass er ernsthaft verärgert ist. »Ich habe Sie bei der Polizei gedeckt, obwohl die Ihre Fingerabdrücke gefunden haben und mich jetzt massiv unter Druck setzen, weil sie nicht glauben, dass ich allein in der Wohnung war.«
»Sie Held«, sage ich und schlage gelangweilt die Beine übereinander. »Da muss ich Ihnen aber echt dankbar sein.«
»Verdammt nochmal«, zischt er. »Ich will jetzt sofort wissen, warum Sie in Münster sind. Was Sie in dem Club wollten, wieso Sie die Liste geklaut haben. Und warum Sie auf einmal abreisen.«
»Ist das alles?«
Wilsberg schüttelt den Kopf. »Nein.«
Erstaunt hebe ich die Augenbrauen.
»Aus Wegeners Kalender ist eine Seite herausgerissen worden. Waren Sie das?«
»Nein.«
Die kleine Falte über seiner Nasenwurzel vertieft sich. »Wieso glaube ich Ihnen das nicht?«
»Das weiß ich nicht«, sage ich und muss grinsen. Das macht ihn erst recht sauer.
»Ich will jetzt sofort wissen, was dieser ganze Zirkus soll!«, bellt er.
Unbeeindruckt und völlig regungslos sehe ich ihn an. Wie die Schlange ihr Beutetier. »Sie haben wirklich keine Ahnung, oder?«
»Nein!«
»Das ist ein Armutszeugnis, Wilsberg. Sie hätten längst drauf kommen müssen. Bei aller Liebe ...«
»Jetzt sagen Sie mir endlich, was los ist.«
Er muss mich nicht noch einmal bitten. Mit Genuss lasse ich die Bombe platzen. »Ich bin P-r-i-v-a-t-d-e-t-e-k-t-i-v-i-n.«
Wilsberg sieht aus wie ein Zuschauer, dem bei einem Eishockeyspiel der Puck ins Gesicht geflogen ist.
»Ich gebe ja zu, unsere Arbeitsweisen unterscheiden sich ein bisschen«, sage ich.
»Allerdings!« Er reibt sich mit der Hand über das Gesicht und sieht mich an, als sähe er mich zum ersten Mal. »Wir sind also Kollegen.«
Ich nicke.
»Und wir arbeiten am selben Fall.«
Ich nicke.
»Wer ist Ihr Auftraggeber?«
»Jochen Averbeck.«
»Dieser Idiot!«
»Das habe ich nicht gehört.«
»Und wie geht das jetzt weiter?«, fragt er irritiert.
»Wir könnten zusammenarbeiten«, schlage ich vor. »Das ist doch Blödsinn, dass wir ständig aneinander vorbeiermitteln und uns gegenseitig ins Gehege kommen.«
Er lässt sich Zeit mit der Antwort.
»Gemeinsam recherchieren, getrennt kassieren«, sage ich und lächele ihm aufmunternd zu.
»Warum nicht«, antwortet er langsam. »Das würde Sinn machen ...«
Genau in dem Moment betritt Dracu die Halle. Ganz in schwarzes Leder gekleidet, steht er da wie ein Dämon. Teuflisch attraktiv, aber irgendwie auch teuflisch gefährlich. So ziemlich jeder in der Lobby hat ihn bemerkt und viele drehen sich nach ihm um. Als Wilsberg Dracu sieht, zuckt er zusammen, als habe er einen Stromschlag bekommen.
Ich hoffe inständig, dass Dracu zufällig hier ist, dass er mit irgendeinem der Hotelgäste verabredet ist.
Aber das ist nicht der Fall. Er steuert direkt auf mich zu. »Renate schickt mich. Ich soll dich abholen«, sagt er und deutet auf mein Gepäck. »Ist das deins?«
Von seinem Auftritt überrumpelt, sitze ich nur da und nicke.
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