Blutmord (Ein Paula Franz und Max Dörner Krimi)
folgte dem von Marie.
Ihre Stimme war nun leiser und brüchiger. „Wir waren mal glücklich. Wir vier, alle zusammen. Eine richtige Familie. Vor langer, langer Zeit. Aber eigentlich sollte ich dir jetzt nicht von diesen Dingen erzählen. Es ist doch schön, dass wir uns wieder getroffen haben. Und du möchtest jetzt keine traurigen Geschichten aus meinem Leben hören. Du hast heute ja schon genug gesehen und gehört.“ Marie sah Paula an.
Diese nickte ihr zu. „Ich habe immer ein offenes Ohr. Du kannst mir gerne von eurer Scheidung erzählen. Ihr wart mal zu viert? Das Mädchen dort ist Lara, oder? Und das andere Kind ist dein zweites Kind?“, mit diesen Worten deutete Paula auf das Bild mit den zwei Kindern, „lebt er oder sie bei dem Vater?“
Marie schluckte schwer und schüttelte dann leicht den Kopf. Nach einem erneuten Schlucken räusperte sie sich kurz. „Nein, er ist tot.“ Sie verstummte.
Betroffen sah Paula aus dem Fenster. Plötzlich, mit einem Schlag war die Welt wieder trübe. Tot. Ihr Sohn ist gestorben. Ohne es zu wollen tauchte das Bild von Fynn wieder vor ihrem geistigen Auge auf. Fynn der sich an sie schmiegte, der ihren Namen rief, den sie ins Bett brachte und dem sie eine Geschichte vorlas. Sie hatte sogar das Gefühl, seinen wunderbaren Kinderduft wahrzunehmen. Dann hörte sie wie aus weiter Ferne wieder die Stimme von Marie: „Plötzlicher Kindstod. Eine weitere Erklärung gab es nicht. Von einer Stunde auf die nächste lag er tot in seinem Kinderbettchen. Er war erst knapp sechs Monate alt. Lara war drei. Alles war perfekt, weißt du. Dennis und ich haben uns geliebt. Wir hatten zwei perfekte, wunderschöne Kinder. Alles hat gestimmt. Zu perfekt. Wenn alles gut läuft, scheint das irgendjemandem nicht zu gefallen und dann stellt er dir ein Bein. Und du stolperst. Das war es. Das war das Ende der perfekten Familie. Dennis und ich konnten den Tod unseres Sohnes einfach nicht gemeinsam verarbeiten. Wir haben es versucht, wirklich. Aber wir haben uns immer weiter voneinander entfernt. Die Trauer hat uns auseinander getrieben. Es ist wirklich schwierig, sein Kind zu verlieren und dann auch noch die eigene Ehe zu retten.“ Paula sah, dass Marie nun Tränen in den Augen hatte. „Weißt du, was besonders tragisch daran ist, ich habe meinen Bruder als Kind ebenfalls verloren. Ich weiß, wie sich Lara gefühlt haben muss. Alles wiederholt sich scheinbar im Leben.“
Hilflos sah Paula zu Marie hinüber, unfähig, etwas Tröstendes zu sagen, unfähig ihre Hand zu nehmen und diese mitfühlend zu drücken. Unfähig irgendetwas zu tun. Paula rang mit ihren eigenen Gefühlen. Sie hatte plötzlich das Gefühl, als ob Marie über Anne und sie sprach. Natürlich war Fynn nicht ihr eigenes Kind gewesen und Anne hatte nie die Bindung zu Fynn gehabt, die Paula zu Fynn hatte. Aber auch sie hatte das Gefühl, dass Anne und sie sich durch ihre Trauer über Fynns Tod immer weiter voneinander entfernten. Sie verstand Maries Worte und Gefühle nur zu gut.
„Wir haben gar nicht mehr miteinander geredet. Alles war verloren. Mit unserem Sohn ist auch unsere Ehe gestorben. In einer Selbsthilfegruppe habe ich gelernt, dass wir kein Einzelfall sind. Vielen Paaren mit einem ähnlichen Schicksal ergeht es wie uns. Das hat mir geholfen. Und Lara. Obwohl sie noch so klein war, hat uns dieses Erlebnis noch enger zusammengeschweißt. Wir sind ein Team, und zwar ein gutes. Wir haben bisher alles geschafft. Zu Dennis habe ich fast keinen Kontakt mehr. Er hat wieder geheiratet und nun einen neuen Sohn. Er hat unseren gemeinsamen Sohn einfach durch einen anderen ersetzt. Unglaublich. Er bezahlt Unterhalt für Lara - und das war es. Lara sieht ihn auch kaum. Mal zu Weihnachten und zum Geburtstag. Aber nicht regelmäßig, sie möchte das nicht und ihm scheint das auch egal zu sein.“ Marie wirkte nun wieder gefasster. Sie sah Paula an. „Aber erzähl mal von dir. Hast du Kinder? Du wolltest doch immer welche haben. Du warst früher schon immer ganz vernarrt in Kinder.“ Nun lächelte Marie sogar.
Paula riss sich zusammen. Sie dachte daran, dass sie zum einen eine alte Bekannte wiedergetroffen hatte, zum anderen aber auch hier ihre Ermittlungen vorantreiben wollte. „Nein“, antwortete sie, „leider nicht. Das hat sich bei mir nicht ergeben. Ich bin auch nicht verheiratet. Ich lebe zwar seit längerem in einer festen Beziehung, aber mit dem Beruf wäre ein Kind gar nicht möglich. Und auf den Beruf verzichten, das kann ich
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