Blutnetz
Lichtstrahl des Suchscheinwerfers wanderte weiter in ihre Fahrtrichtung. Bell drehte mit beiden Händen am Ruder. Der Lichtstrahl kehrte zu ihm zurück. Er gab dem Hebel des Dampfdruckreglers einen kleinen Stups, während er mit der Jacht im rechten Winkel von ihrem alten Kurs wegscherte, dann wartete, bis die Schrauben Schub entwickelten, und schließlich den Hebel nach vorn rammte.
Flammen schlugen aus dem Schornstein. Die Dyname startete durch wie eine Feuerwerksrakete am Unabhängigkeitstag, und der Scheinwerferstrahl wanderte in die falsche Richtung.
»Okay, Captain. Sie haben mir das Warum erklärt und es mir sogar gezeigt. Aber ich weiß noch immer nicht, was Hull 44 nun wirklich ist.«
»Wir gehen auf Kurs zum Brooklyn Navy Yard.«
Das Licht des neuen Tages erhellte die Turmspitzen der Brooklyn Bridge, als die Dyname in den East River glitt. Bell stand immer noch am Ruder, lenkte die Jacht unter der Brücke hindurch und wandte sich nach rechts zur Marinewerft. Vom Wasser aus konnte er auf den Hellingen und in den Trockendocks zahlreiche Schiffe sehen, die sich im Bau befanden. Falconer deutete auf die nördlichste Helling, die ein wenig abseits von den anderen lag. Er schickte durch das Sprachrohr den Befehl in den Maschinenraum, die Schrauben zu entkoppeln. Es herrschte nur eine geringe Strömung, und die Dyname trieb aus eigenem Schwung zum Ende der Helling, wo ihre Führungsschienen ins Wasser eintauchten.
Über den Schienen ragte ein riesiges skelettartiges Gittergerüst auf, das teilweise mit Stahlplatten verkleidet war.
»Hull 44, Mr Bell.«
Isaac Bell nahm den erhabenen Anblick andächtig in sich auf. Sogar mit nur einem Bruchteil der vorgesehenen Panzerplatten an Ort und Stelle hatte der ausladende Bug etwas Majestätisches. Es schien, als könnte er es kaum erwarten, endlich zu Wasser gelassen zu werden und dort seine bislang noch schlummernden Kräfte zu entfalten.
»Vergessen Sie nicht, dass das, was Sie dort sehen, offiziell gar nicht existiert.«
»Wie können Sie ein zweihundert Meter langes Schiff verstecken?«
»Es hat einen Rumpf, den der Kongress bewilligt hat«, antwortete Captain Falconer mit einem kaum wahrnehmbaren Augenzwinkern. »Aber in Wirklichkeit wird es vom Kiel bis zur Spitze seines Gittermasts mit neuen Ideen vollgestopft sein. Es wird über das Modernste an Turbinen, Artillerie, Torpedoschutz und Feuerleittechnik verfügen. Aber wichtiger noch, seine Konstruktion ist auf ständige Verbesserung angelegt, indem jederzeit veraltete Technik gegen neue Entwicklungen ausgetauscht werden kann. Hull 44 ist viel mehr als nur ein Schiff. Dies ist das Modell für zukünftige, noch zu bauende Schiffsklassen und eine Inspiration für innovativere, leistungsstärkere Super- Dreadnoughts.«
Falconer legte eine dramatische Pause ein. Dann fuhr er mit harter, klirrender Stimme fort: »Und das ist der Grund, weshalb Hull 44 von ausländischen Spionen ins Visier genommen wurde.«
Isaac Bell musterte Captain Falconer mit kaltem Blick.
»Überrascht Sie das?«, fragte er barsch.
Isaac Bell hatte genug von Falconers Versuchen, ihn ständig im Kreis herumzuführen. So inspirierend und beeindruckend ein Anblick wie dieses riesige Schiff auch sein mochte - und selbst wenn ihm das Lenken einer fünfzig Knoten schnellen Rennjacht größtes Vergnügen bereitet hatte -, so hätte er doch lieber den Abend damit verbracht, in Hell's Kitchen den Mann zu suchen, der Alasdair MacDonald ermordet hatte.
Falconer zuckte regelrecht zurück, als er Beils eisige Erwiderung hörte.
»Natürlich spioniert jeder«, gab der Captain zu. »Jede Nation, die eine eigene Marinewerft betreibt oder die Absicht hat, ein Kriegsschiff zu kaufen, betreibt Spionage. Wie groß ist der Vorsprung ihrer Freunde und Feinde, was Geschütze, Panzerung und Antrieb betrifft? Welche nächste Erfindung könnte unserem Dreadnought-Schlachtschiff gefährlich werden? Wessen Geschütze haben eine größere Reichweite? Wessen Torpedos haben einen größeren Operationsradius? Wessen Maschinen sind schneller, wessen Panzerung ist stärker?«
»Lebenswichtige Fragen«, räumte Bell ein. »Und es ist völlig normal - selbst für Nationen, die im Frieden leben Antworten darauf zu suchen.«
»Aber es ist nicht normal«, schoss Falconer zurück, »und ganz sicher auch nicht richtig, wenn eine im Frieden lebende Nation Sabotage betreibt.«
»Immer langsam mit den jungen Pferden! Sabotage? Es gibt bei diesen Morden noch keinen Hinweis auf
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