Blutorks 1 - Frenz, B: Blutorks 1
wenigen Tagen, an denen die Wolken über Sangor so gnädig waren, sich für kurze Zeit zu öffnen.
Benir schöpfte den Atem des Himmels, bevor er sich vom Boden abdrückte und an dem Fallrohr emporschwang. Sein Körper verlor dabei nicht wirklich an Gewicht, wurde aber für kurze Zeit den Kräften der Erde entzogen.
Mit ein paar Handgriffen hangelte sich der Elf mühelos an dem Regenrohr empor. Gerade schnell genug, um sich über die steinerne Brüstung des zweiten Stocks zu schwingen, bevor die Erdschwere wieder nach ihm griff.
Hinter den verschnörkelten Gitterfenstern, die zur Belüftung von Werkstätten und Wohnungen dienten, glitzerten vereinzelt Augenpaare, doch niemand war so verwegen, nach draußen zu treten, um nachzusehen, was der Tumult im Innenhof zu bedeuten hatte. Die Bewohner der weißen Stadt hatten schon vor langer Zeit gelernt, sich nur noch um ihre eigenen Belange zu kümmern. Laute Schreie oder gar Kampfeslärm wurden geflissentlich ignoriert. Ganz besonders, wenn kurz darauf ein Untoter vorübereilte.
Falls es eine Befragung durch die Stadtwache gab, würden die meisten sicherlich leugnen, überhaupt etwas gesehen zu haben. Und
falls nicht, war das auch nicht weiter schlimm. Für die Menschen sah ein Schattenelf wie der andere aus.
Die Tür, auf die Benir zueilte, schwang langsam nach innen. Hinter dem offenen Spalt wurde zunächst ein sanft gewölbter Bauch sichtbar, dann eine schmale Gestalt mit langem, weißblondem Haar.
»Was soll das?«, zischte Benir erschrocken. Eigentlich wollte er noch anfügen: Du sollst doch nicht aufstehen! Zum Glück wurde ihm gerade noch rechtzeitig bewusst, wie unsinnig dieser Satz gewesen wäre.
Nera hatte vollkommen richtig gehandelt. Schließlich mussten sie hier weg. Und das so schnell wie möglich.
Seinen Umhang hielt sie bereits in der Hand.
4
I n der Blutschlucht »Du hast meinen Oheim getötet.« Das war nicht die Antwort, die Urok hören wollte, doch sie bewies immerhin, dass Ragmar sprechen konnte. Leider verschwendete der Hellhäuter seinen Atem für haltlose Drohungen wie: »Dafür bringe ich dich um, du verdorbener Fleischberg, das schwöre ich dir! Und wenn ich deine Kehle im Schlaf aufschlitzen muss!«
»Du und mich abstechen?« Urok zog das Buch zurück. »Du bist doch zu blöd, die Klinge richtig herum zu halten.«
Ragmar sprang erbost auf und hob die Rechte zum Schlag.
»Setz dich«, beschied ihm Urok ohne die geringste Regung. »Wenn meine Scharbrüder dich so lebhaft herumspringen sehen, muss ich euch mit Stricken und Seilen verknoten. Das wird sehr unangenehm.«
Ragmar zögerte. Zu lange für Garskes Geschmack. Wütend packte der Magister den Jüngling am Hosenbein und zerrte ihn zurück ins Gras. Sicher hätte er dabei gern einige Flüche ausgestoßen, aber seiner
Kehle entstiegen nur angestrengte Laute, keine Worte. Uroks Drohung, ihm notfalls die Zunge herauszureißen, hielt ihn weiterhin konsequent vom Reden ab.
Ragmar begriff allmählich, in welcher Gefahr er schwebte. Ein Zittern durchlief seinen Körper. Er versuchte es zu unterdrücken, doch es gelang ihm nicht. Betreten umschlang er die Knie und zog sie dicht an den Brustkorb.
Natürlich hätte Urok die gewünschten Antworten mit Gewalt aus ihm herauspressen können. Doch der Ork glaubte mehr zu erfahren, wenn er dem Hellhäuter etwas Zeit ließ, um sich mit seinem Los abzufinden.
Er wollte gerade erneut die Sprache auf Sangor bringen, als er schwere Schritte hörte, die sich näherten. Sofort klappte Urok den Ledereinband zu und verbarg ihn unter seinem Waffenrock, eingeklemmt zwischen der steinernen Sitzfläche und dem rechten Oberschenkel, hob eine der Schriftrollen auf und tat, als versuche er darin zu lesen.
Die stampfenden Schritte langten neben ihm an. Natürlich gab es nur einen Ork, der so laut trampelte, als würde ihm der Wald allein gehören.
»Was machst du da?«, blaffte Tabor. »Ich habe dir doch gesagt, dass du keinen Anteil an der Beute erhältst.«
»Gilt das auch für dieses Geschmiere?« Urok gab sich gebührend überrascht. »Ich wusste nicht, dass jemand Anspruch darauf erhebt.« Er hielt Tabor das Pergament hin. »Hier, nimm ruhig. Ist eh nichts drauf zu erkennen.«
Grimpe, der seinem Brudersohn wie ein Schatten folgte, neigte den Kopf, bis das linke Ohr die Schulter berührte. Aus dieser verrenkten Stellung heraus sah er genau auf die Stelle, an der das Buch unter Uroks Oberschenkel steckte.
Alarmiert ließ der junge Ork die freie Hand auf
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