Blutportale
Haut rund um das Zeichen wurde dunkler, faltig, verging wie ein Blütenblatt, das auf glühenden Kohlen lag.
Ihre so mühsam aufrechterhaltene kühle Fassade brach in sich zusammen. Justine sank an der Duschwand nach unten, umschlang sich mit den Armen und weinte. Nicht vor Schmerzen, denn sie hatte schon lange gelernt, diese zu ertragen; es waren Tränen der Angst, der Verzweiflung. Sehnlichst wünschte sie sich nach Genzano, um ihre alten Freundinnen zu treffen und mit ihnen über das Erlebte zu sprechen. In diesem Moment fühlte sie sich einsamer als jemals zuvor in ihrem Leben, weil die Menschen, denen sie ihre Verwundbarkeit zeigen durfte, so weit entfernt waren.
Faustitia hatte vermutet, dass es einen Weg gab, sie von dem Pakt zu befreien - doch das würde bedeuten, dass sie die Wölfin in sich aufgeben musste. Justine bekam gerade einen Vorgeschmack, was es bedeutete, ihre zweite Natur, die sie seit Kindesbeinen in sich trug, nicht ausleben zu dürfen. Es war ein taubes, kaltes Gefühl in ihr. Sie fühlte sich noch einsamer, abgeschnitten von allem, was ihr lieb und teuer war. Ob Eric auch so empfand, seit er seine Gabe geopfert hatte?
Das warme Wasser wusch ihre Tränen davon.
Genug. Reiß dich zusammen!
Justine drehte im Sitzen den Hebel der Mischbatterie mit einem schnellen Schwung in den blauen Bereich. Aus dem Sommerregen wurde ein winterlicher Schauer, der ihr Herz schneller schlagen ließ. Die Kälte nahm dem Dämonenzeichen die Hitze, es zischte und dampfte leise, als die eisigen Tropfen es abkühlten. Die verbrannte Haut wurde davongeschwemmt, und darunter kam neue, rosafarbene zum Vorschein. Wenigstens die Selbstheilungskräfte waren ihr geblieben. Und mein Wille, dachte Justine. Den kann mir niemand nehmen.
Es klopfte an der Tür. »Justine?«, hörte sie Saskias Stimme. »Duschen Sie immer noch? Wir wollen uns etwas zu essen bestellen, eine Pizza - haben Sie Hunger?«
»Sehr«, rief Justine und war erleichtert, dass ihre Stimme fest und entschlossen klang. »Irgendwas mit doppelt Fleisch. Partygröße.«
Sie erhob sich, verließ die Kabine und trocknete sich ab. Mit jeder Bewegung des Handtuchs verschwand etwas von ihrer Schwäche. Schließlich lächelte sie sich im Spiegel zu. Die andere Justine war wieder zurück.
Die Justine, wie sie fast jeder kannte, weil sie sich nur so der Welt zeigen wollte. Saskia starrte auf die Bilder, die Will ihr am PC zeigte: historische Aufnahmen von der Tunguska, von der Zerstörung, die dort gewütet hatte, gefolgt von Aufzeichnungen über die erschreckende Vernichtungskraft und Sprengkraftberechnungen. »Das alles ist passiert, als man versucht hat, ein einziges Artefakt zu zerstören?«
Die Tür zum Bad schwang auf. Justine lief nackt an Saskia vorbei ins Schlafzimmer und verschwand hinter einer geöffneten Schranktür. Die Jahre in der Hölle hatten der Französin nicht geschadet; sie war in hervorragender körperlicher Verfassung, wie Saskia eingestehen musste. »Will hat das Kloster gefunden«, rief sie ihr zu. »Posolsk, am Baikalsee.«
»Tres bien! Dann sollten wir bald los.«
»Justine, Ihre Sachen liegen noch im Bad«, sagte Saskia erstaunt. Aber offensichtlich hatte die Französin in einem der Schränke etwas gefunden, was ihr besser gefiel als das Diebesgut aus ihrem alten Wohnsitz. Sie kehrte zu ihnen zurück und streifte sich einen schwarzen Pullover über; dazu trug sie eine schwarze Stoffhose, die ihr zu lang und zu groß war. »Ma chère, warum immer noch so förmlich? Bon. Sobald ich meine Pizza bekommen habe, fahre ich los und hole dir etwas zum Anziehen für die Reise aus deiner Wohnung. Will, in der Villa sollte ich mich wohl nicht blicken lassen, ich bringe dir etwas von unterwegs mit.«
»Ich habe Größe zweiundfünfzig«, sagte Will. »Bitte keine hellen Farben, ich mag es gedeckt.« Saskia warf Justine ihren Schlüssel zu und nannte die Adresse. »Können wir für Sie ... für dich auch irgendetwas tun?«
Die freundlich gemeinte Bemerkung schien Justine wie ein Schlag zu treffen. Sie schloss die Augen, legte die Spitzen von Daumen und Zeigefinger gegen die Nasenwurzel und verharrte so einige Sekunden, ehe sie die Lider wieder hob. Saskia und Will schauten sich erstaunt an. »Kann der Professor mir einen Reisepass besorgen? Ohne könnte es schwierig werden.« »Ich frage ihn. Aber er scheint mir ein Mann mit vielen Verbindungen und Talenten zu sein ...« »Genau der richtige Mann.« Sie zwinkerte Saskia zu und stieg in ein Paar
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