Blutportale
»Haben Sie mehr über ihn herausfinden können?«
»Nein.« Er machte eine kleine Pause. »In der Datenbank der union sind die Mitglieder mit ihrem echten Namen und mindestens einer Kontaktadresse abgespeichert, ebenso ist das Geburtsdatum hinterlegt. Und für die Kämpfer, die in der Rangliste oben stehen, gibt es kurze Dossiers, außer ...«
»... für den Maitre«, vollendete Justine grollend. »Und das ist bisher niemandem aufgefallen?« Saskia hatte eine Erklärung, aber die gefiel ihr ganz und gar nicht. »Er ist die union. Er hat irgendwann die Macht übernommen und seine Leute in das Komitee gehoben, damit er die Kontrolle ausüben kann.«
»Die Vertuschung der Unfälle hat diesen Verdacht schon nahegelegt«, kam es aus dem Telefon; der Professor klang wütend. »Es wird Zeit, dass ich einige Freunde aus alten Tagen anspreche, die definitiv nichts mit dem Maitre zu tun haben. Außerdem muss ich davon ausgehen, dass meine Nachforschungen mittlerweile jemandem aufgefallen sind.«
»Was haben Sie vor, Professor? Es war nicht meine Absicht, Sie in Schwierigkeiten zu bringen\«\ »Ich denke eher, dass die union in Schwierigkeiten ist«, entgegnete er gefasst. »Sie dient nicht mehr dem Zweck des Duellierens und der Verehrung der Fechtkunst, sondern den ominösen Plänen eines einzigen Mannes. Das muss beendet werden! Ohne Sie, Frau Lange, wäre dieser Umstand vielleicht niemals ans Licht gekommen. Dafür schuldet Ihnen jedes einzelne Mitglied der union Dank.« »Und was haben Sie vor?« »Ich werde den Maitre ausschalten lassen, ganz ohne den Kodex der union zu beachten. Danach werde ich das Komitee entfernen und ein neues installieren. Ich werde den Vorsitz übernehmen, und wenn Sie mit dem, was Sie zu tun haben, fertig sind, Frau Lange, würde ich Sie sehr gern darin sehen. Was halten Sie davon?«
Saskia freute sich über diese Ehre, die ihr zuteilwerden würde; ein schönes Gefühl, für das sie umso dankbarer war, weil sie es in den letzten Tagen nicht mehr empfunden hatte. »Lassen Sie mich erst den Titel der Maitresse errungen haben, Professor. Dann komme ich dem Ruf gern nach. Ich möchte mir meinen Wunsch erfüllen, die Erste und die Beste der union zu sein.« »Wenn ich den Maitre ausgeschaltet habe, rücken Sie automatisch an die erste Stelle der Rangliste.«
»Aber ...«
»Keine Widerrede, Frau Lange. Und machen Sie sich bitte keine Sorge: Ich werde einen würdigen Gegner für Sie finden, wenn es so weit ist. Wenn ich Ihnen aber jetzt im Moment bei etwas helfen kann ...«
»Ja, das können Sie. Ich brauche einen vertrauenswürdigen Kontakt, der mir etwas aus dem Russischen übersetzt.«
»Sie sind in Irkutsk, sagten Sie?« Der Mann schien nach etwas zu suchen, sie hörten ein elektronisches Piepsen. »Ich habe tatsächlich jemanden ganz in Ihrer Nähe. In Ulan Bator. Möchten Sie ihn aufsuchen, oder soll er zu Ihnen kommen?«
»Um wen handelt es sich?«
»Soweit ich weiß, ist er Akademiker und arbeitet an einem naturwissenschaftlichen Institut. Sie werden sich auf Englisch mit ihm unterhalten können. Sein Kampfname ist Bebud, wie der russische Artilleriesäbel aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Er gehört zu denen, die ich über die Machenschaften des Maitre in Kenntnis setzen werde. Ich sende Ihnen seine Nummer per SMS auf Ihr Handy.«
»Danke sehr!«
»Kann ich noch etwas für Sie tun?« »Nein. Geben Sie auf sich acht.«
»Das Gleiche gilt für Sie, Frau Lange.« Er verabschiedete sich und legte auf.
»Also ziehen wir doch einen Außenstehenden, mit hinein?« Will hatte zugehört, ohne die Augen vom Laptop-Monitor abzuwenden.
»Es geht nicht anders.« Saskia bedauerte das zwar auch, aber es ließ sich nicht ändern. Sie rieb das Handy ab, das auf der Heizung über Nacht getrocknet war; ein Wunder, dass es das Seewasser unbeschadet überstanden hatte. »Gibt es Neuigkeiten vom Sir?«
Will schüttelte den Kopf. »Nein.« Er drehte den Laptop, so dass die Frauen den Bildschirm sehen konnten. »Aber ich habe die Harfe gefunden. In Limerick!« Er zeigte ihnen die Website des Museums, das in einer Burg am Fluss Shannon untergebracht war: Sir John's Castle. Er klickte sich durch die verschiedenen Abteilungen des Museums, bis sie einen Raum sahen, in dem unter einer großen Glasvitrine eine schulterhohe Harfe ausgestellt war. »Ich bin mir sehr sicher, dass sie es ist«, erklärte er aufgeregt. »Leider kann man auf den Bildern nicht sehen, ob eine andersfarbige Saite aufgespannt
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