Blutportale
Matratze war es schwierig, eine Bestandsaufnahme zu machen; doch so wie es aussah, fehlte nichts. Hatte der Dieb von neulich einen zweiten Versuch unternommen? War er auf der Suche nach den Blättern oder etwas anderem gewesen? Will rief Anil an und informierte ihn wütend, was einer seiner Leute angerichtet hatte. Nach einem kurzen Abgleich der Personalunterlagen, den Anil am Telefon machte, wurde allerdings klar, dass es sich dabei nicht um ein festes Mitglied des Teams gehandelt hatte; der Dieb musste sich irgendwie eingeschlichen haben. Will hörte den Entschuldigungen seines Kalari-Freundes gar nicht mehr zu, sondern legte einfach auf. Zu viele Gedanken schössen ihm durch den Kopf: War der Dieb von Hansens Mandanten angeheuert worden, um ihm Angst zu machen? Musste er den Sir anrufen? War es schlau, seinen Auftraggeber zu benachrichtigen, wenn er nicht wusste, wie er die Anwesenheit eines Catering-Unternehmens im Haus erklären konnte? Die Polizei konnte er auch nicht kontaktieren, denn dort würde es ein Protokoll geben, das irgendwie seinen Weg zum Sir finden konnte. Damit wäre auch die Party aufgedeckt und er vermutlich seinen guten Job als Verwalter los. Ein Schreckensszenario nach dem anderen tat sich vor Will auf. Was für ein beschissener Tag. Vor der Party graute es ihm inzwischen nur noch.
»Was tun?«, fragte er laut, erhielt aber keine Antwort von der kleinen Götterstatue, die es natürlich auch in seinem Schlafzimmer gab. Will kehrte in die Eingangshalle zurück, wo er sich eine Flasche Sekt aus dem Kühler nahm und sie köpfte. Er brauchte dringend einen Schluck Alkohol. So viel Aufregung, wie er in den letzten Tagen gehabt hatte, erlebten andere Menschen nicht im Verlauf von vier Wiedergeburten!
»Auf dich, Shiva«, sagte er leise und hob die Flasche in Richtung der Statue, die gegenüber der Haustür auf einem Sockel stand. Er hatte beschlossen, weder die Polizei noch den Sir zu informieren. »Lass den Abend zu einem Erfolg werden und gib mir deinen Schutz. Behüte mich und meine Gäste vor den Mächten des Bösen und all seinen Dämonen, in welcher Gestalt sie auch erscheinen mögen.« Er nahm einen Schluck, doch das beständig ungute Gefühl ließ sich nicht hinwegspülen. Den Rest der Flasche wollte er lieber Shiva opfern.
Was war, wenn der Dieb oder die Schlägertruppe es wieder versuchten?
Er wählte ein weiteres Mal Anils Nummer an und ließ sich von ihm einen guten Sicherheitsdienst nennen. Niemand sollte seine Party stören.
8. November
Deutschland, Hamburg
Saskia fühlte sich etwas überdreht und gleichzeitig sehr, sehr gelöst. Die Schmerzmittel, die sie vorsichtshalber vor zwei Stunden genommen hatte, bescherten ihr eine Leichtigkeit, die ihr vortäuschte, über den Boden zu schweben. Es war, als würde sie auf Wolken laufen. Dabei wollte sie sich einfach nur unbeschwert auf der Party bewegen können. Die Wunden waren zwar erstaunlich gut verheilt, aber sie ziepten immer noch sehr fies, vor allem die Schnitte auf ihrer Brust. Manchmal brannten sie so, dass Saskia Angst hatte, sie würden sich doch noch entzünden. Aber auch diese Sorge schien im Moment meilenweit entfernt zu sein. »Soll ich dir was sagen? Die Nebenwirkungen der Pillen, die ich genommen habe, stimmen zu siebzig Prozent mit den Angaben auf dem Beipackzettel überein.« Sie grinste unentwegt und drückte sich an Patrick, den Souschef des Bon Goût. Auf den ersten Blick erinnerte er sie an Josh Hartnett, er war allerdings nicht ganz so schlank und trainiert. »Ich nehme so was normalerweise nie. Halt mich, sonst fliege ich weg«, gluckste sie. »Mann, ich hoffe, das hört bald wieder auf.«
»Du redest, als wärst du beschwipst«, sagte er lachend, während sie die Auffahrt zu dem beeindruckenden Haus hinaufgingen, in dem sie heute zu Gast sein durften. Der Garten, durch den sie schritten, war überwältigend angelegt; mehrere Strahler betonten die Pracht der Bäume und Sträucher und verliehen ihnen in der Nacht ein besonderes Flair. »Bist du wirklich sicher, dass du so kurz nach deinem Unfall schon wieder ausgehen solltest?«
»Ach, du Spaßverderber!«, rief sie schmollend. »Abgesehen davon: Natürlich muss ich mich heute hier blicken lassen, es geht ums Geschäft. Will macht einfach die perfekten Gestecke, und bei der Warteliste, die er normalerweise hat, können wir es uns nicht leisten, ihn zu verärgern. Du weißt, wie viel Lob wir für unser Ambiente bekommen, Patrick, und der Blumenschmuck ist ein
Weitere Kostenlose Bücher