Blutrausch
viel, und er wäre ein richtiger Renfield, der Fliegen und Kakerlaken in sich reinstopft. Weiß der Geier, wie Phil von dem Vyrus erfahren hat. Wahrscheinlich war er einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Aber immerhin ist es ihm gelungen, mehrere Jahre am Rand unserer Gemeinschaft zu überleben. Es grenzt an ein Wunder, dass ihn bis jetzt keiner von uns um die Ecke gebracht hat. Der Kerl blickt vorne und hinten nicht mehr durch. Aber mir kommt er nicht mehr blöd. Nicht, seit er es vor ungefähr einem Jahr zum letzten Mal darauf angelegt hat. Seitdem ist sein Gesicht ein bisschen verbogen. Und ihm ist klar, dass ich ihn richtig fertigmache, wenn er noch mal so eine Scheiße abzieht. Gehorsam folgt er mir also in die Cherry Tavern.
Der Türsteher wirft einen kurzen Blick auf Phil und mich und schüttelt den Kopf.
– Alles voll.
Ein paar kichernde Teenager wollen rein. Er beäugt kurz ihre gefälschten Ausweise und winkt die Mädchen durch. Der Typ ist Anfang zwanzig, und seine muskelbepackten Arme und der massige Brustkorb wirken zu groß für den Rest seines Körpers. Als Türsteher hat er seine wahre Berufung gefunden. Er entscheidet, wer sich zu der Fleischbeschau in dieser East-Village-Disco gesellen darf, um dort die minderjährigen Mädels anzubaggern, und kommt sich deswegen verdammt wichtig vor. Anscheinend sind Phil und ich ein bisschen zu alt für sein Empfinden. In meinem Fall liegt er da auch gar nicht so falsch, obwohl ich nicht unbedingt so aussehe. Wenn man überlegt, wie alt ich tatsächlich bin, hab ich mich wirklich gut gehalten. Trotzdem sieht er in uns wohl zwei alternde Lustmolche, die auf die Stimmung drücken. In dieser Situation habe ich mehrere Möglichkeiten: Ich könnte ihn bei den Eiern packen und mal kräftig dran ziehen, ich könnte mit seinem Schädel auf dem Asphalt Basketball spielen oder einfach nur eine Hand auf seine Schulter legen und so lange drücken, bis er nachgibt. Stattdessen ziehe ich einen Zwanziger aus der Tasche.
Er nimmt den Geldschein entgegen.
– Na dann, Waidmannsheil.
Das Cherry galt in den letzten Jahren vier bis fünf Mal abwechselnd als die schäbigste Kaschemme und dann wieder als angesagtester Szenetreff, immer abhängig von der neuen Generation von Erstsemestern der NYU. Im Moment scheint es wieder abwärts zu gehen. Das Geschäft mit den jungen Leuten, die sich ins Koma saufen wollen, läuft zwar gut, aber auf dem Klo wird nicht mehr gefickt. Ein schlechtes Zeichen. Ich zerre Phil an die Theke und bestelle drei Tequila und dazu Tecate-Bier, die Spezialität des Hauses. Wir kämpfen uns durch die hormongeschwängerte Luft zum hinteren Teil der Bar vor und setzen uns neben den Pac-Man- Automaten.
Ich baue zweimal Spezial vor Phil auf.
– Runter damit.
– Danke, Joe. Eigentlich wollte ich jetzt mal eine Runde ausgeben, aber danke.
Er schnüffelt an einem der Gläser und verzieht das Gesicht.
– Das ist nicht grade das beste Zeug.
– Tja, du kennst doch das Cherry. Hier gibt’s keinen Fünfzehn-Dollar-Scotch.
Er kippt einen Tequila und spült ihn mit dem Bier hinunter. Ich folge seinem Beispiel.
– Also, Phil. Schieß los.
Sein Blick zuckt durch die Menge, immer auf der Suche nach jemandem, der Stoff verkauft. Ich schnippe mit den Fingern vor seinem Gesicht.
– Das neue Zeug. Ich war auf dem Mond, schon vergessen?
Er spricht, ohne seinen Blick von den Kids in ihren tief hängenden Jeans, Puma-Tretern und Kapuzenpullovern abzuwenden. Er hält Ausschau nach dem verräterischen Handschlag, mit dem ein Deal vonstatten geht.
– Ja, das neue Zeug. Ist grade voll angesagt. Nicht bei der breiten Masse, um’s mal so zu sagen. Aber da gibt’s eine neue Szene. Frischlinge.
– Die Frischlinge stecken dahinter?
– Jep. Zumindest hab ich’s so gehört. Nichts für ungut, aber alte Knacker haben in der Szene nicht viel zu melden. Sag mal, hat die ’nen Ständer oder was?
Er deutet auf ein Kokspäckchen von der Größe einer Billardkugel, die einem Mädchen die Vordertaschen ihrer Cordhose ziemlich deutlich ausbeult.
– Keine Ahnung.
– Klar, die Tussi hat was am Start. Pass mal kurz auf mein Bier auf. Mit der muss ich mal reden.
Ich packe ihn am Handgelenk, bevor er aufstehen kann.
– Später.
– Ach komm, Joe. Ich brauch Stoff.
– Setz dich. Trink und rede mit mir.
Er beobachtet, wie sie mit ein paar Freunden auf der Toilette verschwindet.
– Och Mann. Die ziehen sich alles allein rein.
Ich stelle ihm den letzten
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