Blutrausch
Stoff.
Er sammelt die Kohle ein.
– Geht klar. Das brauchst du mir nicht zweimal sagen.
– Dann los. Ich will den Grafen heute Nacht noch sprechen. Heute Nacht, verstanden?
– Ich weiß nicht so recht, Joe. Ist alles ein bisschen kurzfristig. Wie gesagt, ich kenn den Typen eigentlich gar nicht.
Er betrachtet betrübt die Geldscheine, die er zwischen seinen Fingern reibt.
– Vergiss es, Phil. Mehr gibt’s nicht. Ich will den Grafen treffen. Danach können wir über alles reden.
Resigniert stopft er die Scheine in seine Jacke.
– Geht klar, Joe. Okay. Sag mir einfach, wo ich dich treffen soll. Ich bin da.
– Ich werd dich schon finden.
– Klar, okay. Aber wo willst du mich denn finden?
– Du bist doch später im Blackie’s, oder nicht?
– Klar.
– Dann treffe ich dich dort.
Ich bin froh, dass ich die dichten Schwaden von Zigarettenrauch, die künstliche Holzverkleidung und den grauenhaften Geruch von Kotze, der jedes Mal durch den Raum strömt, sobald jemand die Klotür aufmacht, endlich hinter mir lassen kann. Philip dagegen scheint hier völlig in seinem Element.
Der Graf.
Früher oder später taucht immer einer auf. Alle paar Jahre bildet sich jemand ein, der Graf oder Vlad oder Vampirella oder sonst wer zu sein. Irgendein Schwachkopf, der die ganze Vampirgeschichte viel zu ernst nimmt und völlig in seiner neuen Rolle aufgeht. Wie dem auch sei, ich werde mir den Kerl vorknöpfen. Wäre nicht das erste Mal, dass ich einem Idioten im Samtcape das Licht ausblase. Und es wird wohl nicht das letzte Mal bleiben.
Es ist fast eins. Das Blackie’s sperrt erst auf, wenn die anderen Kneipen dichtmachen. Also gegen vier. Ich gehe am Doc’s vorbei. Das Fenster, durch das ich gestern den Spinner geschmissen habe, ist inzwischen mit Sperrholz vernagelt. Soll ich reingehen und die Barkeeper ausquetschen? Vielleicht später. Im Augenblick ist der Laden ziemlich überfüllt. Ich gehe zur Ecke 10th und A. Jetzt könnte ich meine Bude bequem zu Fuß erreichen, mir Geld holen und den Notvorrat plündern. Nach einer Minute intensiven Nachdenkens wird mir klar, dass ich damit nur Zeit verschwenden würde. Ich weiß genau, wo ich hingehen muss, und suche nur nach einer Entschuldigung, um es aufzuschieben. Meine Kohle wird mir dort nichts nützen. Also gehe ich die A entlang, bis ich die 9th erreiche. Dort überquere ich die Avenue C.
Als ich das Hodown betrete, wirft mir Evie von ihrem Platz hinter der Theke einen finsteren Blick zu, ist ansonsten aber schwer beschäftigt. Ich dränge mich an dem Trio aus Pedal-Steel-Gitarre, Fiedel und Mundharmonika vorbei, das auf der kleinen Bühne improvisiert, und fange an, leere Flaschen einzusammeln. Ich trage die Flaschen hinter die Theke, werfe sie in einen Abfallcontainer aus Plastik, in dem schon hundert weitere liegen, und mache mich daran, Gläser zu spülen. Evie, die gerade einen Martini mixt, nickt mir zu. Fünfzehn Minuten später hat sich die Lage deutlich entspannt, wenigstens, was die sauberen Gläser angeht. Ich wechsle wieder auf die spaßige Seite der Theke und lasse mich auf einem Barhocker nieder.
Evie hat immer noch viel zu tun. Das Publikum ist in Feierlaune. An einem Wochentag um die Uhrzeit sind die Gäste zum Großteil selbst Bedienungen. Sie haben ihre Schicht in den zehntausend Cafés und Bistros, die in den letzten zehn Jahren hier aufgemacht haben, hinter sich. Oder es sind Stammkunden, die sich die Band anhören und dabei ihre Leberzirrhose kultivieren. Evie öffnet ein Lone Star und schiebt es mir über die Theke hinweg zu. Eine halbe Stunde später ist es etwas ruhiger, und sie kommt zu mir rüber.
Sie wischt sich die Hände an dem Lappen ab, den sie in ihren Nietengürtel gesteckt hat, und nimmt sich eine von meinen Zigaretten.
– Hast du Feuer?
Sie raucht so gut wie nie.
– Wie ist es gelaufen?
Sie greift nach meinem Zippo und gibt sich selbst Feuer.
– Nichts Besonderes.
– Gut. Was hat der Arzt gesagt?
Sie wirft einen Blick auf die Band.
– Hast du die schon mal gehört? Corpus Christi heißen die.
– Ja, hab ich. Was ist mit dem Arzt?
Sie zieht an der Zigarette und hustet los.
– Hat. Hust! Gesagt. Hust! Dass... ’tschuldige.
Sie nimmt einen Schluck von meinem Bier und hört auf zu husten.
– Der Arzt hat gesagt, dass meine Viruslast einen neuen Höchststand erreicht hat. Das HIV macht sich wieder bemerkbar.
Ich will ihre Hand berühren, aber sie zieht sie weg. Sie starrt hinüber zur Band und hält
Weitere Kostenlose Bücher