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Blutrose

Blutrose

Titel: Blutrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margie Orford
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Hocke gegangen und hatte mit dem Gedanken gespielt, die Lider über den Augen zu schließen, die sie so anklagend anstarrten. Ihr Fingernagel war über die Schulter und über die Zwillingswölbung seines Hinterns geglitten, der unter dem fleckigen Tuch verborgen lag.
    »Nicht überrascht. Geschockt, ja. Entsetzt, ja. Aber nicht überrascht«, kehrte Darlene zu Clares ursprünglicher Frage zurück.
    Sie wusste nicht mehr, wie lange sie vor ihm gekauert hatte, doch irgendwann hatte sie einen Krampf in den Beinen gespürt. Als sie wieder aufgestanden war, hatte sich der Nebel gelichtet, und am Zaun kam eine dunkle, blau gekleidete Gestalt angetrottet, darum hatte sie ihren Korb genommen und war in ihr leeres Klassenzimmer weitergegangen.

    »Warum haben Sie nicht die Polizei gerufen?«, fragte Clare.
    »Herman Shipanga hat ihn gefunden. Ich wusste, dass er ihn finden würde. Er hat die Polizei gerufen. Ich wusste, dass er das tun würde. Wen interessiert es, ob ich ihn als Erste gesehen habe?« Darlene zog eine zerknitterte Zigarette aus ihrer Tasche und tastete nach einem Feuerzeug.
    »Suchen Sie das hier?« Clare hob ein verschrammtes Zippo-Feuerzeug vom Boden auf. In das Metall war eine halbnackte Meerjungfrau eingraviert. Darlene zündete ihre Zigarette an und legte das so unpassend wirkende Feuerzeug auf dem Teetablett ab.
    »Außerdem ist es denen egal, ob er tot ist oder nicht. Für die war er nur Müll«, sagte sie.
    »Wem ist es egal?«, fragte Clare.
    »Der Polizei. Der Stadtverwaltung. Da können Sie jeden fragen. Die interessieren sich nicht für diesen toten Jungen oder für Nicanor Jones oder Fritz Woestyn. Sie haben sie in ein Grab geworfen, um sich unnötigen Ärger zu ersparen. Es gibt inzwischen so viele Waisen, dass die Menschen insgeheim erleichtert sind, wenn sie beseitigt werden. Sie hoffen nur, dass es den erwischt hat, der ihr Autofenster eingeworfen hat.«
    »Sie interessieren sich für diese Kinder.« Clare sagte das ganz leise.
    »Darum sind die Jungs auch immer zu mir gekommen. Ich habe sie nicht verurteilt, ich wollte nichts von ihnen. Sie waren praktisch meine Kinder. Sie kamen zu mir, wenn sie etwas brauchten.«
    »Und was brauchte Kaiser?«
    »Das weiß ich nicht«, sagte Darlene. »Ich weiß es wirklich nicht. Vielleicht gar nichts. Vielleicht wollte er nur nicht allein sein. Vielleicht wollte er mir etwas erzählen, war aber zu schüchtern. Ich weiß es nicht.«
    »Sie haben gesagt, sie waren geschockt, ihn dort zu finden, aber nicht überrascht.« Clares Stimme stieg fragend an.

    Darlene starrte auf ihre Hände. »Als ich ihn das letzte Mal sah, kam er mir so eigenartig vor. Als hätte er eine Linie übertreten. Seine Schwester versuchte, für ihn zu sorgen, nachdem ihre Mutter gestorben war. Wie soll das funktionieren, ein von Kindern geführter Haushalt? Quark. Da gibt es keinen Haushalt. Diese Kinder sitzen nur da und warten, dass jemand sie abholen kommt.« Sie zog tief und wütend an ihrer filterlosen Zigarette. Prompt musste sie husten. »Verzeihung«, sagte sie und wedelte den Rauch mit der Hand beiseite.
    »Hinterher«, fuhr Darlene fort, »nachdem ich ihn gefunden hatte, kam es mir so vor, als sei er gekommen, um sich zu verabschieden. Als wüsste er, was passieren würde. Er sah so friedlich aus, trotz der Kopfwunde.«
    »Das kommt daher, dass er schon eine Zeitlang tot war«, sagte Clare. »Dann entspannen sich die Muskeln. Das bügelt den Ausdruck aus dem Gesicht. Daher der friedvolle Blick.«
    Darlene zuckte zurück, und Clare bereute sofort, so unverblümt gesprochen zu haben. Sie stand auf. »Sie waren mir eine große Hilfe.«
    Darlene öffnete die Haustür und trat auf die Stufe davor. Clare war froh, dem muffigen Haus zu entkommen. Der Nebel hatte sich verzogen und die weich geschwungenen Dünen freigelegt.
    »Sie ist so schön, die Wüste«, erklärte Clare gebannt.
    Darlenes Lachen klang bitter. »Ein Haufen Frauentitten. So hat mein Mann sie immer beschrieben. Er sagte gern, es würde ihn scharf machen, wie sie so daliegt und darauf wartet, genommen zu werden.«
    Mit zitternden Fingern steckte sich Darlene die nächste Zigarette in den Mund. Der Ärmel ihrer Strickjacke rutschte zurück. Um ihr Handgelenk zog sich ein Armband aus blauen Flecken. Clare streckte die Hand aus und umfasste Darlenes dünnes Gelenk.
    »Was ist passiert?«, fragte sie.

    »Ich war nur ungeschickt.« Darlene riss die Hand zurück und zog den Ärmel wieder nach unten. Dann ging sie ins Haus

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