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Blutrote Kuesse

Titel: Blutrote Kuesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeaniene Frost
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gebracht. Zum Glück hatte sie ein gutes Verhältnis zur Bordellwirtin, sonst hätte sie mich niemals bei sich behalten können. Nur die Mädchen durften üblicherweise im Hurenhaus bleiben, man kann sich leicht denken, warum. Als ich klein war, hatte ich keine Ahnung, dass meine Lebensumstände ungewöhnlich waren.
    Die Frauen waren ganz vernarrt in mich, und ich half bei der Hausarbeit und allem Möglichen, bis ich älter wurde. Die Madame, sie hieß Lucille, wollte später von mir wissen, ob ich ins Familiengeschäft einsteigen wolle. Einige Freier hatten eine Vorliebe für Jungs, und ich war ihnen aufgefallen, weil ich hübsch war. Doch als die Bordellwirtin mir das Angebot machte, hatte ich schon genug Erfahrung, um zu wissen, dass ich das nicht wollte. Damals gingen in London viele Kinder betteln. Auch Taschendiebstahl war üblich, also begann ich zu stehlen, um mir meinen Unterhalt zu verdienen. Als ich dann siebzehn war, starb meine Mutter an Syphilis. Sie war dreiunddreißig.«
    Ich war während seiner Erzählung ganz blass geworden, aber ich wollte den Rest auch noch hören. »Erzähl weiter.«
    »Zwei Wochen später sagte mir Lucille, dass ich gehen müsse. Ich nahm nur Platz weg und brachte nicht genügend ein. Sie war nicht grausam, sondern einfach nur praktisch veranlagt. Ein neues Mädchen könnte mein Zimmer haben und dreimal so viel einbringen. Wieder stellte sie mich vor die Wahl... auf der Straße alleine zurechtkommen oder bleiben und selbst anschaffen. Aber sie machte mir ein zuvorkommendes Angebot. Sie hatte einigen Damen aus guter Gesellschaft von mir erzählt, mit denen sie Umgang pflegte. Ich konnte mir aussuchen, ob ich mich lieber an Frauen oder an Männer verkaufen wollte. Und so nahm ich ihr Angebot an.
    Natürlich wurde ich zuerst von den anderen Mädchen im Etablissement angelernt, und ich erwies mich als Naturtalent. Lucille machte Werbung für mich, und schon bald hatte ich einige blaublütige Stammkundinnen. Eine hat mir am Ende das Leben gerettet.
    Ich war immer noch Taschendieb, musst du wissen. Eines unseligen Tages habe ich so einem feinen Pinkel die Geldbörse direkt vor den Augen eines Bobbys abgeknöpft. Und schon hatte man mich in Ketten gelegt und vor einen Richter geschleift, der zu den strengsten in London gehörte und mit der Todesstrafe schnell bei der Hand war. Eine meiner Kundinnen erfuhr von meiner Misere und hatte Mitleid. Sie überzeugte den Richter unter vollem Körpereinsatz davon, dass es das Beste für mich sei, in die neuen Strafkolonien geschickt zu werden. Drei Wochen später wurde ich zusammen mit zweiundsechzig anderen Unglücklichen nach Neusüdwales verschifft.«
    Sein Blick verdüsterte sich, und er fuhr sich nachdenklich mit der Hand durchs Haar.
    »Zur Reise möchte ich nur so viel sagen, dass wir mehr Elend ertragen mussten als ein Mensch je erleben sollte. In der Kolonie angekommen, ließ man uns buchstäblich schuften bis zum Umfallen. Ich freundete mich mit drei Männern an, Timothy, Charles und Ian. Nach einigen Monaten glückte Ian die Flucht. Dann, fast ein Jahr später, kam er zurück.«
    »Warum denn?«, wollte ich wissen. »Entflohene Sträflinge sind doch bestimmt bestraft worden, oder?«
    Bones stöhnte. »Natürlich, aber davor hatte Ian keine Angst mehr. Wir waren draußen und schlachteten Rinder, um Trockenfleisch und Felle zu gewinnen, als wir von Ureinwohnern überfallen wurden. Sie brachten die Aufseher und alle Gefangenen um, nur Timothy, Charles und mich nicht. Da tauchte Ian unter ihnen auf, doch er hatte sich verändert. Auf welche Weise, kannst du dir denken. Er war ein Vampir geworden, und in dieser Nacht machte er mich auch zu einem. Zwei weitere Vampire verwandelten auch Charles und Timothy. Wir wurden zwar alle zu Vampiren, aber nur einer hatte darum gebeten. Timothy wollte Ians Angebot annehmen. Charles und ich nicht. Ian machte uns trotzdem zu Vampiren, weil er glaubte, wir würden später noch dankbar dafür sein. Ein paar Jahre lang lebten wir bei den Ureinwohnern und schworen uns, nach England zurückzukehren. Es dauerte fast zwanzig Jahre, bis wir es endlich schafften.«
    Er verstummte und schloss die Augen. Während seiner Erzählung hatte ich irgendwann aufgehört, mich zusammenzukauern, und starrte ihn nun mit großen Augen an. Er hatte vollkommen recht, das war keine schöne Geschichte, und ich hatte keine Ahnung gehabt, was er durchgemacht hatte.
    »Du bist dran.« Er öffnete die Augen und sah mich direkt an.

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