Blutrote Lilien
war zu verlockend. Es dauerte nicht lang und sie nahm unter Protest die Handschuhe entgegen.
Auf der Zugbrücke der Porte de Bourbon trafen wir auf Sophie und ihre Zofe, die ängstlich vor Orson zurückwich. Sie fürchtete sich vor seiner Größe, dabei war er so friedlich und zahm wie ein Kalb. Wer ihn zum ersten Mal sah, musste aber annehmen, dass sein Aussehen das Ergebnis einer stolzen Linie blutrünstiger Monster war, und dieser Umstand sorgte dafür, dass die Leute Abstand hielten. Vater hatte darauf bestanden, dass wir Orson als zusätzlichen Schutz mit uns führten. Begleitet wurden wir außerdem von einem Mann, der unter de Vitry diente. Dann machten wir uns zu Fuß auf, die Stadt zu entdecken.
Als wir am Tor an dem Marschall vorübergingen, winkte ich kurz, doch wie immer reagierte er nicht, nur seine Augen folgten uns aufmerksam.
Der Wind pfiff über uns hinweg und schon nach kurzer Zeit spürten wir unsere Zehen nicht mehr, so kalt war es. Aber das hätte uns nicht gleichgültiger sein können. Schnell liefen wir die Rue de Saint-Honoré hinab, damit die Kälte uns nicht in den letzten Knochen kroch und der Abstand zwischen dem Louvre und uns groß genug wurde, um zu glauben, dass wir den neugierigen Blicken einmal entkommen waren.
Nach wenigen Häusern bogen wir in die Rue de Lingerie ein, die uns zum Platz der Les Halles führte. Dort verdichtete sich der stete Menschenstrom zu einer bunt gemischten Menge, die sich um die unzähligen Stände scharte, an denen vom Schaffell bis zum Wurzelwerk alles angeboten wurde. Die kalte Luft drückte zwar den Aschegeruch zu Boden, dafür roch es nach feuchter Kleidung und Hund.
Wir ließen uns einfach mit der Menge treiben. An manchem Stand blieben wir stehen und begutachteten die Ware, manchmal nur zum Spaß, denn ein ganzes Schwein brauchte nun wirklich niemand von uns. Über Orsons Anwesenheit geriet besagtes Schwein jedoch dermaßen in Aufregung, dass es wie wild an seinem Strick zerrte, mit dem es festgebunden war, und dabei beinahe den Stand umriss. Sein Besitzer, ein spindeldürrer, hochgewachsener Kerl mit hochrotem Gesicht verfluchte uns laut und anhaltend, allerdings in einem Dialekt der Grafschaft Poitou, sodass wir ihn nicht verstanden. Rasch drängte uns Manon weiter, während der Mann hinter uns drohend die Faust schüttelte.
Erst als wir außer Sichtweite waren, brachen wir in Gelächter aus. Nur Manon beharrte nach wie vor darauf, dass dieser Vorfall ihre Meinung über Paris und seine Bewohner bestätigte.
»Ein grobschlächtiges Pack!«, schimpfte sie noch bis zur nächsten Kreuzung.
Dass der Mann aus dem Poitou gewesen war, ignorierte sie ebenso wie die Tatsache, dass jene Pariser, die sie für grobschlächtig hielt, auch für die zahlreichen Duftwässer verantwortlich waren, die sie so sehr mochte.
Bei einem Tuchhändler erwarb Sophie eine Tischdecke aus Gimpenspitze, die sie ihrer Mutter schenken wollte, wenn sie einmal nach Hause fuhr. Dabei stellte sich heraus, dass Sophie offenbar vom Handeln etwas verstand, denn sie stritt so lange mit dem Händler, bis er ihr einen in ihren Augen vernünftigen Preis machte.
»Eure Preise sind unverschämt, mein Herr, diese Stoffe kommen niemals aus Italien, seht doch die Verarbeitung. Das sind Leinen aus Flandern! Wollt Ihr uns für dumm verkaufen?«
»Aber nicht doch, meine Dame, das ist allerbeste Ware, ich bitte Euch, seht her.«
»Das schlägt doch dem Fass den Boden aus, zwanzig Écus und nicht einen mehr, wenn Ihr nicht wollt, dass wir uns im Gerichtspalast wiedersehen!«
Das war es also, das Paris, auf das ich mich gefreut hatte.
Die Stadt schien mir so lebendig wie ein Bienenschwarm. Und obwohl es genau wie bei meiner Ankunft furchtbar roch und laut war, so fühlte ich mich mitten in dieser Menge so zufrieden wie schon lange nicht mehr. Hier sagte mir niemand, was ich zu tun oder zu lassen hatte. Niemand lauerte darauf, dass ich einen Fehler beging, und niemand kannte meinen Namen. Stundenlang liefen wir durch die Straßen von Paris, erkundeten Haus um Haus diese aufregende Stadt und lauschten den Gesprächen der Bürger, die kaum von uns Notiz nahmen.
Wenigstens ein Dutzend Mal versuchte Manon, mich zum Umkehren zu bewegen. Ihr war dieses Paris nicht geheuer. »Viel zu viele Menschen«, sagte sie unwirsch und bedachte jeden, der es auch nur wagte, uns länger zu betrachten, mit finsterem Blick. Hinter jeder Ecke vermutete sie einen Räuber, der es auf unseren Schmuck abgesehen haben
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