Blutrote Lilien
könnte.
»Sei nicht albern, Manon. Es ist doch helllichter Tag und wir sind zu fünft. Wenn uns ein Räuber überfällt, werden wir ihm einfach damit ans Schienbein treten.« Ich deutete auf meine Schuhe, die breite Schnallen zierten.
»Oh, wenn Ihr es nur merken würdet, aber diese Banden sind so geschickt, Ihr bemerkt erst, dass Eure Geldbörse fort ist, wenn Ihr etwas bezahlen wollt, jawohl.«
Ich verdrehte die Augen. Manon war unverbesserlich, aber ich wollte mir meine Begeisterung nicht verderben lassen. Lachend zog ich Sophie weiter, die vor Aufregung ganz rote Wangen bekommen hatte.
Als wir nach Stunden die Rue Montmartre herunterliefen, sah ich plötzlich am Ende der Straße eine bekannte Gestalt.
»Da ist Henri!« Überrascht streckte ich den Arm aus und zeigte auf ihn. Mein Bruder stand bei einem älteren Mann, der mit gelangweiltem Gesichtsausdruck das Treiben beobachtete. Der Mann war groß gewachsen, er hatte ein spitzes Kinn und eine lange, schmale Nase. Er war gut aussehend, doch sein Blick glitt kühl über das, was ihn umgab. Offenbar war er wohlhabend, denn die Kleidung, die er trug, sah teuer aus, und seine Halskrause war blütenweiß. Darunter hing eine breite goldene Kette, die ihm bis zu den Rippen reichte.
Neben mir blieb Sophie wie angewurzelt stehen, unruhig huschte ihr Blick zwischen mir und den beiden Männern hin und her. Dann fasste sie mich fast schmerzhaft am Ellbogen und zog mich ein Stück an die Häuserwand.
»Ich muss jetzt gehen«, sagte sie flüsternd, als würde sie mir ein Geheimnis verraten.
»Warum denn?«, fragte ich überrascht.
»Es wird Zeit, ich habe noch Klavierstunden.«
Während sie sprach, sah sie mich nicht an und ich konnte deutlich erkennen, dass sie log. Warum nur hatte sie es auf einmal so eilig, von hier fortzukommen? Schon winkte sie ihrer Zofe, die mit Manon wenige Schritte abseits von uns stand, und wollte sich abwenden.
»Warte! Was ist denn in dich gefahren?«
Nervös sah sie zu meinem Bruder und dann wieder zu mir. Sie biss sich auf die Lippe und es war ihr anzusehen, dass sie mit einer Antwort rang. »Dein Bruder spricht dort mit dem Herzog d’Épernon.«
»Ja und?«
»Der Herzog versteht sich nicht besonders mit meinem Vater. D’Épernon ist ein Favorit der Königin, man munkelt, er vertritt spanische Interessen am Hof und ...« Erschrocken hielt sie inne, als hätte sie schon mehr gesagt, als sie durfte, und plötzlich lächelte sie mich unsicher an und legte ihre Hand auf meinen Arm. »Keine Sorge, ich bin sicher, das sind nur die üblichen Gerüchte. Trotzdem ist es wohl besser, ich gehe jetzt. Wir sehen uns später, ja?«
Bevor ich noch etwas erwidern konnte, war sie auch schon in der Menge verschwunden. Fragend sah Manon mich an, aber ich konnte nur mit den Schultern zucken. Ich hatte keine Ahnung, warum Sophie es auf einmal so eilig hatte.
Doch viel Zeit zum Überlegen erhielt ich nicht, denn Henri hatte mich soeben entdeckt und steuerte geradewegs auf mich zu. Als er an meine Seite trat, stellte sich der Herzog neben ihn und sein Blick verfolgte Sophie wie ein Habicht auf ihrem Weg durch die Menge. Dabei sah er nicht gerade freundlich drein. Offenbar hatte sie recht daran getan, ihm aus dem Weg zu gehen.
»Was machst du hier?«, fragte mich Henri barsch und vergaß dabei ganz die Etikette. Er duzte mich in Anwesenheit eines Fremden.
Verärgert sah ich ihn an. »Dasselbe könnte ich dich auch fragen.«
Sein Gesichtsausdruck wurde noch ein wenig finsterer. Er öffnete kurz den Mund, als wolle er noch etwas zu dem Thema sagen, doch dann unterließ er es und wandte sich stattdessen dem Herzog zu. »Herzog d’Épernon, darf ich Euch meine Schwester vorstellen, Charlotte de Montmorency.«
Der Herzog beugte sich über meine Hand und murmelte: »Erfreut«, und sah dabei alles andere als erfreut aus.
Dann standen wir uns schweigend gegenüber, bis Henri herausplatzte: »Möchtet Ihr mich morgen auf die Jagd begleiten, Schwester? Die Königin geht auf die Beizjagd, ich dachte, das könnte Euch vielleicht interessieren.«
Seine aufgeblasene Art verleitete mich fast dazu, Nein zu sagen, aber ich schluckte eine Bemerkung hinunter und antwortete stattdessen: »Gern.« Es wurde Zeit, dass ich meinen Falken wieder fliegen ließ, und das wäre eine gute Gelegenheit. Sicher hatte Henri die Einladung durch den Herzog erhalten, wenn es stimmte, was Sophie sagte, und d’Épernon mit der Königin vertraut war.
»Ihr müsst wissen, dass
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