Blutrote Lilien
Dann lief ich weiter, die Treppe zur Galerie hinauf und zwei Stockwerke nach oben.
Dort angekommen holte ich keuchend Luft, bevor ich um die Ecke rannte. Weit kam ich jedoch nicht, denn ich stieß heftig mit jemandem zusammen, der es offenbar ebenso eilig hatte wie ich. Das Buch flog mir aus der Hand, und ehe ich mich versah, saß ich auf meinem Hinterteil auf dem Steinfußboden und die Röcke waren mir bis zu den Knien nach oben gerutscht. Schon wieder.
»Merde!«, hörte ich es vor mir fluchen, und als ich aufschaute, blickte ich ausgerechnet in das Gesicht des Prinzen Condé.
Das hatte mir gerade noch gefehlt!
Er war durch unseren Zusammenstoß zwar nicht zu Boden gegangen, hatte aber einen Stapel Papiere verloren, die er wohl zuvor unter dem Arm geklemmt hatte. Ein zweites Mal befand ich mich am Ende seines zornigen Blickes und wieder sah er auf mich herab.
»Es scheint eine lieb gewonnene Angewohnheit zu sein, Mademoiselle, dass Ihr alles durcheinanderbringt. Seid Ihr von Natur aus ungeschickt oder hat man Euch das in Chantilly erst beigebracht?«
Vor Wut blieben mir die Worte im Hals stecken und ich konnte nur stumm zusehen, wie er seine Papiere aufsammelte und dabei immer wieder finster in meine Richtung schaute.
»Es scheint, als wärt Ihr auch noch stumm?« Er richtete sich auf und wartete darauf, dass ich etwas erwiderte. Dabei zogen sich seine Augenbrauen so weit zusammen, dass sie über der Nasenwurzel fast zusammenstießen. Ihr Schatten verdunkelte seine Augen. »Verzeiht, Mademoiselle, wenn ich Euch beleidigt haben sollte, wie es scheint, seid Ihr tatsächlich stumm.«
Sein Tonfall zeigte deutlich, dass es ihm alles andere als leidtat, schließlich wusste er recht gut, dass ich keineswegs stumm war. Wütend stand ich auf und zog die Röcke zurecht. Dabei rieb ich mir möglichst unauffällig das schmerzende Hinterteil. Am liebsten hätte ich ihm gesagt, dass er ja wohl nicht ganz unschuldig war an unserem Zusammenstoß, schließlich war er ebenfalls zu schnell gelaufen. Aber dieser Mann war nicht irgendein Mann, sondern der Prinz, dem man nicht einfach Sachen vorwarf – auch wenn sie der Wahrheit entsprachen.
Gerade, als ich zu einer Erwiderung ansetzte, um wenigstens den letzten Rest Stolz zu retten, hörte ich Schritte am gegenüberliegenden Ende der Galerie. Über seine Schulter hinweg konnte ich sehen, wie ein großer Mann in dunkler Kleidung auf uns zukam. Er machte weit ausholende Schritte wie ein Mann, der sich seiner selbst sehr sicher war.
Der Prinz folgte meinem Blick und fluchte leise. »Mayenne.«
Verständnislos sah ich ihn an.
»Der Großkämmerer. Er versucht schon den ganzen Tag, mit mir zu sprechen.« Der Prinz schien auf die Unterhaltung mit dem Großkämmerer ebenso große Lust zu haben wie ich auf eine Unterredung mit dem Marquis de Bassompierre.
Sein Blick verdunkelte sich noch eine Spur mehr und ich erkannte, dass der Gesichtsausdruck, mit dem er mich eben noch bedacht hatte, lediglich Ungeduld gezeigt hatte, während er jetzt offene Abneigung widerspiegelte.
Der Großkämmerer kam bei uns an, er schien mich jedoch gar nicht wahrzunehmen. »Prinz de Condé, wenn ich Euch für einen Augenblick sprechen könnte.« Es klang keineswegs wie eine Frage, sondern wie ein Befehl. Vielleicht war das der Grund, warum sein Anliegen auf wenig Gegenliebe stieß.
»Tut mir leid, Herzog de Mayenne, wie Ihr seht, bin ich gerade in einem sehr wichtigen Gespräch mit Charlotte de Montmorency.«
Der Herzog betrachtete mich nun doch und schien über etwas nachzudenken. »Die Tochter von de Montmorency? Ja, jetzt erinnere ich mich, de Bassompierres Verlobte.«
Das Wort Verlobte sprach er so anzüglich aus, als hätte ich längst de Bassompierres Bett geteilt, und mit Schrecken wurde mir klar, dass der Großkämmerer wohl nicht der Einzige war, der diese Annahme teilte. Wahrscheinlich glaubte der gesamte Hof nach dieser unglückseligen Affäre, der Marquis hätte seine Verführungskünste an mir bereits erfolgreich ausprobiert.
Vor Wut und Scham lief ich rot an.
»Ja nun«, sagte der Prinz, »wie dem auch sei, wir sind jedenfalls gerade im Gespräch und Ihr könnt unmöglich erwarten, dass ich eine Dame von Rang einfach so stehen lasse, nicht wahr, Herzog. Warum verschieben wir unser Gespräch nicht auf einen anderen Zeitpunkt? Ich bin sicher, wenn Ihr mich einmal gefunden habt, werdet Ihr keine Schwierigkeiten haben, mich ein zweites Mal zu finden.«
Etwas Unausgesprochenes ging
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