Blutrote Sehnsucht
mich nun doch nicht nach einem Haus umzusehen, wenn die Leute hier auf solch fürchterliche Weise umgebracht werden. Was meinen Sie? Könnte es ein Tier gewesen sein?« So viel hatte ihn hier noch keiner reden gehört, normalerweise war er eher einsilbig und verschlossen. Aber er war sicher, dass der Gastwirt ihr Gespräch belauschte und es seltsam finden würde, dass er so viel sprach. Hoffentlich, denn Stephan gedachte den Verdacht auf sich zu lenken. Besser auf sich als auf die arme Miss van Helsing.
»Das ist schwer zu sagen, Mr. Sincai. Wenn ich den Tatort gesehen habe, werde ich mir ein genaueres Bild machen können. Ich wüsste allerdings gern von Ihnen, wo Sie sich in der Nacht des elften März aufhielten.«
»Ich?«, fragte Stephan in ungläubigem Ton. »Sie können doch wohl kaum vermuten, dass ich etwas mit diesen schrecklichen Ereignissen zu tun hatte!«
»Ich frage jeden, Sir.«
Stephan tat, als überlegte er. »Nun, dann lassen Sie mich mal nachdenken. Dienstag ... Da war ich mit Pillinger, dem Grundstücksmakler, unterwegs, um in der Nähe von Wedmore nach einem Haus zu suchen, das zu mieten ist. Der Makler wird Ihnen das bestätigen.« Das würde er nicht. Aber genau das wollte Stephan ja.
»Die ganze Nacht?«
»Natürlich nicht. Wir haben das letzte Haus so gegen zehn Uhr besichtigt. Danach bin ich hierher zurückgeritten.«
»Hat jemand Sie zurückkehren sehen?«
Stephan zuckte die Schultern. »Fragen Sie die Leute! Ich habe mit niemandem gesprochen, falls es das ist, was Sie meinen. Im Schankraum war es mir zu laut, und ich bin gleich hinaufgegangen.«
»Soviel ich hörte, schlafen Sie tagsüber, Sir.«
»Und? Ist das ein Verbrechen?«
Steadly senkte für einen Moment den Blick. »Nein«, sagte er mit einem angespannten Lächeln. »Natürlich nicht.« Dann blickte er wieder auf. »Es wäre aber schön, wenn es eine Erklärung dafür gäbe.«
»Ich leide unter Lichtempfindlichkeit«, erwiderte Stephan schulterzuckend. »Eine eher unmännliche Schwäche, doch sie ist die Erklärung.«
»Davon habe ich noch nie gehört.«
»Sind Sie Mediziner?«, gab Stephan in sanftem Ton zurück.
»Nein.« Steadly runzelte die Stirn. »Nein, das bin ich nicht.«
»Na, sehen Sie.«
Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, als Steadly Stephan prüfend musterte.
Stephan lächelte und zog die Brauen hoch. Er mokierte sich über Steadly, und der Mann wusste es. Das würde es ihm leichter machen, eine feindselige Atmosphäre zu erzeugen. »Haben Sie noch andere Fragen?«
Der Ermittler räusperte sich. »Nein. Im Moment nicht. Aber ich erwarte, dass Sie für weitere Befragungen zur Verfügung stehen. Planen Sie also keine Reisen und bleiben Sie in Cheddar Gorge.«
»Selbstverständlich, Sir«, murmelte Stephan. Falls Steadly jedoch erwartete, dass er nun gehen würde, wurde er enttäuscht. Stephan blieb sitzen, wo er war, und blickte leise lächelnd zu dem Runner auf, bis der Mann sich wieder räusperte, sich auf dem Absatz umdrehte und ging.
Sehr gut. Das Gespräch würde den Ermittler für mindestens einen weiteren Tag beschäftigen. Wenn er herausfand, dass Stephan ihn belogen hatte, würde der Verdacht gänzlich auf ihn fallen und Miss van Helsing wäre aus dem Schneider. Aber der Mann konnte so oder so nichts unternehmen. Es gab keine Zeugen und keine Beweise, die Stephan mit dem entsetzlichen Geschehen in dem Jagdhaus in Verbindung brachten. Und er musste nur noch ein paar Tage länger warten, für alle sichtbar, bis Kilkenny kam.
Dann würde er seinen Auftrag erfüllen oder bei dem Versuch sein Leben lassen.
Stephan blickte aus dem Fenster und sah, wie tief die Sonne bereits stand. In etwa einer halben Stunde würde sie untergehen. Van Helsing war wieder auf Maitlands. Die Ankunft des Bow Street Runners war der sichere Beweis dafür. Und deshalb würde er sich jetzt nach Maitlands aufmachen, um dafür zu sorgen, dass Van Helsing Ann in Ruhe ließ. Es war das Mindeste, was er für sie tun konnte, nachdem sie ihm geholfen hatte. Außerdem merkte er, dass er sie sehen wollte. Was nur verständlich war, da er schließlich herausfinden wollte, ob sie sich wirklich gut erholt hatte. Und was sie wusste. Das war alles.
Mrs. Simpson kam hinauf, um Anns Tablett zu holen, und riet ihr, ein bisschen zu schlafen. Ann stimmte zu, obwohl sie überhaupt nicht müde war. Schwach, das ja, aber sie hatte den ganzen Nachmittag geschlafen, und jetzt war es gespannte Erwartung, die ihr keine Ruhe ließ. Würde
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