Blutrote Sehnsucht
Treppe hinaufgeschlichen kommen. Sollte er es doch wagen, würde Stephan ihn zur Hölle schicken. Und er selbst war sicher vor dem Runner. Er würde es genießen, ein Buch zu lesen und Ann beim Schlafen zuzusehen. Genießen ... dieses Wort hatte er seit Jahren nicht mehr benutzt, geschweige denn tatsächlich so etwas wie Genuss empfunden.
War er wirklich so gern in ihrer Nähe? Dass sie so viel über ihn wusste, war entnervend, doch dass sie ihn darüber hinaus auch noch so zu akzeptieren schien, wie er war, war wirklich schwer zu glauben. Vielleicht wusste sie ja doch nicht alles. Er würde sie auf die Probe stellen müssen. An seine Ausbildungszeit in Mirso schien sie sich jedenfalls nicht zu erinnern, was ein Geschenk des Himmels war. Er hasste den Gedanken, dass eine so unschuldige junge Frau ... Sie könnte allerdings von anderen Liaisons wissen, die er sich im Laufe der Jahrhunderte gegönnt hatte. Sie hatte gesagt, sie wisse von Beatrix und Asharti, und ein Teil seiner Beziehung zu ihnen war auf jeden Fall physischer Natur gewesen. Bei Asharti sogar ausschließlich – das hatte zu seinem Ausbildungsprogramm gehört. Er hatte versucht, ihr zu zeigen, dass sexuelle Beziehungen auch zärtlich und ein gegenseitiges Geben und Nehmen sein konnten. Doch diese Lektion hatte sie offensichtlich nicht gelernt. Auch da war er gescheitert. Bei Beatrix war die sexuelle Beziehung zweitrangig gewesen neben der Liebe, die er für sie empfand. Anfangs hatte sie ihn auch geliebt, aber dann war sie darüber hinausgewachsen. Die erste Liebe hatte nur selten Bestand, besonders zwischen einer unschuldigen jungen Frau und einem Mann, der schon alles gesehen und erlebt hatte.
Stephan betrachtete die schlafende Miss van Helsing. Sie sah aus wie ein Engel, so hell, so unschuldig. Sie war der Meinung, er verdiente Frieden. Doch es war nur ihre eigene Güte, die ihren Eindruck von ihm prägte. Denn sie irrte sich. Wenn er seine Mission vollendete, mochte er Vergebung verdienen, aber keine Güte. Wann war überhaupt je jemand gut und großzügig zu ihm gewesen?
Ja. Genau genommen vielleicht sogar eine von Rubius’ Töchtern ...
Kloster Mirso,
März 1820
Stephan kam in dem Raum zu sich, den er zu hassen begonnen hatte. Wieder war er an den harten Stein der Bank gekettet. Jemand streichelte ihn und summte leise vor sich hin. Die Berührung war sanft. Sie schmerzte nicht. Er hatte überhaupt keine Schmerzen mehr. Die fürchterliche Qual schien nur noch ein böser Traum zu sein. Er schlug die Augen auf.
Freya saß neben ihm und salbte seine nackte Haut mit Öl. Er hob den Kopf ein wenig an und blickte auf sich herab. Sein Körper war unversehrt, jedes Haar, jeder Zentimeter Haut waren wieder heil. Gefährte , seufzte er dankbar und spürte als Antwort darauf das prickelnde Leben durch seine Adern rauschen.
»Das war hart, ich weiß«, sagte Freya. Ihre Augen hatten einen weichen Ausdruck. »Aber es geht dir schon viel besser.«
Er drehte den Kopf zur Seite, doch sie waren allein.
»Die anderen werden später kommen. Wir wollten dir Gelegenheit geben, dich zu erholen. Es wird ein, zwei Tage dauern, bis du deine ganze Kraft zurückgewinnst.« Sie tauchte zwei Finger in das Öl und gab es auf seine Schultern und die muskulösen Oberarme.
»Möchtest du mir Fragen stellen?«, wollte sie wissen, während sie das Öl verrieb. »Dee und ich sind uns nicht einig, wie viel du wissen solltest. Ich glaube, dass Aufklärung dich zu einem eifrigeren Büßer macht und es dir den Gehorsam erleichtert, genau zu wissen, was von dir erwartet wird. Dee dagegen meint, wir sollten dich im Dunkeln lassen. Aber sie ist nicht hier.«
Was sollte er sie fragen? Er hatte tausend Fragen. Er wollte wissen, warum sie ihn nur fürs Masturbieren so grausam bestraft hatten, aber er war sicher, dass das Freya nur verärgern würde. Und als er jetzt darüber nachdachte, hatte er auch viel wichtigere Fragen. »Kann dieses ... Training wirklich meine Macht erhöhen?«
»Oh, auf jeden Fall«, erwiderte sie. »Du bist schon stärker, als du es bei deiner Ankunft warst. Und diese abwechselnde Unterdrücken und Befriedigen deines Sexualtriebs wird deine Macht um ein Vielfaches steigern.«
Er dachte darüber nach, dass er nicht mehr ganz so erschöpft war und auch früher erwachte als zuvor. Vielleicht hatten sie recht. »Und wie lange ... wird das noch so weitergehen?« Wie lange würde er es noch ertragen können?
»Das ist schwer zu sagen. Deine Fortschritte werden
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