Blutsauger
Physikerin wird sie sich auskennen.«
Sie wechselten nur noch ein paar wenige Worte. Ihre innere Anspannung stieg, je näher sie Merklingen kamen. Dass sie Frau Brugger mit hoher Wahrscheinlichkeit antreffen würden, ließ ein Kontrollanruf erwarten. Ohne eine Rufnummer zu übertragen, hatten sie angerufen und sofort wieder aufgelegt, nachdem der Hörer abgenommen worden war.
Im Wohngebiet angekommen, stellte Linkohr das Auto inmitten der Straße ab. Jetzt spielte es keine Rolle, wenn sie blockiert war. Hinter ihm kam der Kleinbus zum Stehen. Linkohr und Kerstin stiegen aus, spürten die eisige Kälte und gingen zu den Kollegen, um sie auf das Haus Bruggers hinzuweisen. Hinter zwei Fenstern, an denen die Rollläden zu zwei Dritteln herabgelassen waren, brannte Licht.
Die Kriminalisten aus dem Kleinbus hatten vereinbart, dass nur einer von ihnen Linkohr und Kerstin begleitete, während sich die anderen vor dem Gebäude postierten und in den Schlagschatten verschwanden, die Sträucher und Gebäude im Schein der Straßenlampen warfen. Der Neuschnee reichte den Männern bis zu den Knöcheln – und noch immer wirbelten dicke Flocken um die Lichter.
»Okay«, gab Linkohr das Zeichen zum Aufbruch. Doch gerade, als er sich mit Kerstin und dem weiteren Kollegen vom Kleinbus entfernen wollte, öffnete sich die Seitenscheibe des Kastenwagens. Der Fahrer winkte Linkohr zu sich her. »Sie haben einen Notruf gekriegt«, berichtete er aufgeregt und legte das Funkgerät auf den Beifahrersitz zurück. »Die Esslinger Kollegen. Vom Naturschutzzentrum Schopfloch.«
Linkohr sah den Kollegen erschrocken an. »Woher kommt das?«
»Von unseren Jungs. Sie sind gerade verständigt worden. Mehrere Streifen sind unterwegs – und sie fahren auch raus.« Nachdenklich fügte er hinzu: »Bei diesem Sauwetter geht das nicht so schnell – quer über die Alb.«
Der Strahl aus der Halogenlampe hatte ihn voll getroffen. Wie ein Laser, der ihm die Augen verbrennen wollte. Max Frenzel war geblendet und konnte nichts erkennen. Er fühlte sich gelähmt – gelähmt vor Angst, Entsetzen und Panik. Er umklammerte den Vorhang, den er bis dahin nur vorsichtig zur Seite bewegt hatte. Er zitterte und wollte schreien – doch dazu war er viel zu schwach. Denn das Licht kam näher, noch näher – und plötzlich erlosch es, nein – es war nur ein Gegenstand, der Schatten warf und der ihn mit voller Wucht im Gesicht traf. Nichts Festes, nichts Hartes, sondern etwas Weiches, etwas, das seltsam roch. Chemisch, medizinisch. Er wollte sich davon befreien, drehte den Kopf reflexartig beiseite, stieß dabei gegen die Wand, spürte den Druck im Gesicht heftiger, rang nach Luft und sog diesen Geruch tief in sich ein, während der Lichtstrahl erlosch. In Todespanik wurden in ihm die letzten Kräfte mobilisiert. Er packte die Hand, die ihm diesen weichen Gegenstand gegen Nase und Mund presste. Vermutlich ein chemiegetränktes Tuch oder ein Wattebausch, zuckte es ihm durchs Gehirn, während sein Hinterkopf gegen die Wand gedrückt wurde. Er versuchte, dem Angreifer einen kräftigen Fußtritt zu versetzen – doch der Hieb ging ins Leere. Stattdessen verstärkte sich der Druck auf sein Gesicht.
Er brauchte Luft. Luft, frische Luft.
Max Frenzel spürte, wie ihn die Kräfte verließen. Er würde den Kampf verlieren.
70
Häberles Müdigkeit war verflogen. Er setzte sich auf die Bettkante und lauschte Lenas Stimme. Für einen Moment überlegte er, ob er ihr vorschlagen sollte, sich irgendwo zu treffen. Er hatte ihre Gegenwart als sehr angenehm empfunden – doch die Vernunft sagte ihm, dass es besser war, sich Lenas Anliegen am Telefon anzunehmen.
»Ich mach mir ganz große Sorgen«, begann sie. »Sorge um Max und auch um meine Mutter. Sie weiß zwar von all dem, was mein Vater gemacht hat, so gut wie nichts. Aber ob das die anderen auch so sehen …?«
»Sie meinen …?«
»… dass sie auch in Gefahr sein könnte«, unterbrach ihn Lena schnell. »Und wer weiß – womöglich bin auch ich einer von denen, der ihnen unangenehm werden könnte. Außerdem … außerdem flieg ich jetzt heim.«
Häberle suchte nach beruhigenden Worten. Vermutlich ging mit dem Mädchen die Fantasie durch, dachte er. Das gnadenlose Beseitigen ungeliebter Mitwisser mochte zwar in zweitklassigen Mafia-Filmen vorkommen, in der Realität hingegen war dies eher die Seltenheit. Wobei man natürlich nie wissen konnte, wie geschickt es manche Kreise anstellten, unbemerkt
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