Blutsbraeute
ihren scharfen, analytischen Verstand auf die Fakten. Der Mörder lieà die Mädchen eine Zeit lang am Leben, bevor er sie umbrachte. Wenn Theresa gestern Abend entführt worden war, standen die Chancen gut, dass sie noch lebte. Panik zog sich in Clares Bauch zusammen. Er hatte die Leichen der ersten beiden Mädchen etwa vierundzwanzig Stunden lang aufbewahrt, bevor er sie ablegte.
Sie erschrak, als Riedwaan die Autotür zuknallte. Er legte ihr die Hand auf den Nacken. Sie nahm das als Friedensangebot und entspannte sich unter seiner Berührung. Dann gingen sie hinein und warteten auf den
Tontechniker. Clare überprüfte das Anwesenheitsregister des Wachmanns. Theresa Angelo hatte ihre Handynummer in deutlichen Zahlen um 15.55 Uhr am Vortag eingetragen. Clare schrieb die Nummer in ihr Notizbuch.
Sam Napoli trat zu ihnen und begrüÃte sie. »Kommen Sie bitte mit nach oben.« Sein gebräuntes Gesicht war aschfahl. Er führte sie in sein Studio, und sie setzten sich. Sam hatte Tränen in den Augen.
« Ich arbeite mit Theresa, seit sie zehn ist«, sagte er. »Ich kann es nicht fassen, dass die Polizei nach ihr sucht.«
»Gehen Sie bitte mit uns durch, was gestern Nachmittag geschehen ist. Alles. Bis ins kleinste Detail«, sagte Clare.
»Sie ist wegen eines Autowerbespots hergekommen. Sie war so aufgeregt wegen des Auftrags â sie hat zum ersten Mal eine Erwachsene gesprochen. Sie hat eine fantastische Stimme, samtig und lebendig.« Er wandte sich dem Mischpult zu und drückte auf mehrere Knöpfe. »Hier, hören Sie.«
»Hallo, Freunde.« Theresa Angelos körperlose Stimme füllte den Raum. Es war so unheimlich, dass Clare eine Gänsehaut bekam. »Ich fahre einen Maserati, weil ich mir das wert bin. Was ist mit euch?«
Sam schaltete das Band ab. »Sie war so fröhlich, als sie ging. Wir hatten uns über diese blöde Werbung für Maserati lustig gemacht. Sie kennen sicher Rod Stewarts unsterbliche Zeilen: âºShe was tall, thin and tarty and she drove a Maserati.â¹ Theresa hat gesagt, wenn sie so etwas Geniales schreiben könnte, wäre sie bestimmt Millionärin.
Jedenfalls haben wir früh Schluss gemacht, und als sie ging, sang sie âºSailingâ¹. Ihr Musikgeschmack ist schauderhaft.«
»Wann ist sie gegangen?«, fragte Riedwaan.
»Das muss gegen halb sechs gewesen sein.« Er wandte sich seinem Computer zu. »Ich schaue kurz nach. Hier ist jeder Auftrag eingeloggt.« Er rief die Einträge des Vortages auf. »Ja, hier ist es. Ich habe mich um zwei Minuten nach halb sechs ausgeloggt. Dann muss sie etwa fünf Minuten später gegangen sein.«
»Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen?«
»Ja. Nur eine Kleinigkeit. Sie hat blauen Nagellack getragen. Ich erinnere mich daran, dass ich gedacht habe, das sehe seltsam aus â ihre Hände wirkten unnatürlich. Sie hat gelacht, als ich ihr das gesagt habe, und geantwortet, das sei gerade groÃe Mode. Muss stimmen. Meine Frau und meine Tochter benutzen auch beide blauen Nagellack. Auch ihnen habe ich gesagt, dass es merkwürdig aussieht, aber sie hören nicht auf mich â¦Â«
»Noch etwas?«, fragte Riedwaan. »War sie nervös? Anders als sonst?«
»Nein, sie war schlicht glücklich. Sie hat sich verabschiedet, und dann war sie weg.«
Riedwaan schlug das Notizbuch zu. »Danke, Mr. Napoli. Ich lasse das abtippen, und dann können Sie die Aussage unterschreiben. Kommen Sie aufs Revier?«
»Sicher, sicher«, sagte Sam, stand auf und ging mit ihnen zur Tür. »Ich habe sie danach übrigens noch einmal gesehen.«
Riedwaans Körper spannte sich an. Er schlug das Notizbuch
wieder auf. Das Papier knisterte laut in der Stille des Raumes.
»Wo?«, fragte er.
»Es war unwesentlich später. Ich wollte noch Störgeräusche von einem Band entfernen, aber das Mischpult hat nicht richtig funktioniert. Ich habe auf dem Balkon eine Zigarette geraucht, und da habe ich Theresa gesehen. Sie ist zum Hafen gegangen, aber nicht auf dem üblichen Weg. Sie muss die Abkürzung durch diese teure Wohnanlage genommen haben. Ich habe gedacht, dass sie vielleicht in eine Wohnung dort will. Und dann war sie eine Weile verschwunden. Ich wollte schon wieder zurück ins Studio, als ich sie noch einmal gesehen habe. Sie sah wirklich blendend aus. Ich habe noch gedacht: Unsere kleine Theresa wird
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