Blutsbraeute
deshalb haben wir zwölf kostbare Stunden und ein schönes Mädchen verloren.«
»Hast du schon mit dem Tontechniker gesprochen?«
»Mit Sam Napoli? Noch nicht. Willst du mitkommen?«
»Ja«, sagte Clare. »Holst du mich ab? In einer halben Stunde?«
»Lieber etwas früher. Bis gleich.«
Clare lieà sich auf den Schreibtischstuhl fallen. Das Profil des Mörders, das sie erstellt hatte, lag vor ihr. Was
war ihr entgangen? Sie zog sich wütend, verzweifelt und ratlos an den Haaren, bis ihr vor Schmerz die Tränen kamen. Die Puzzlestücke waren da. Aber ganz gleich, wie sie die Teile zusammensetzte, sie ergaben kein deutliches Bild. Ihr wurde übel. Sie ging ins Bad und übergab sich mehrmals. Dann machte sie sich fertig und wartete auf Riedwaan.
44
Riedwaan holte Clare zwanzig Minuten später ab. Sie fuhren zu den Fusion-Film-Studios. Sein Zorn erfüllte das Auto. »Wie sieht sie aus?«, fragte Clare. Riedwaan warf ihr ein Bild des verschwundenen Mädchens in den SchoÃ. Es war ein Schulfoto. Theresa Angelo sah fast übertrieben sittsam in dem blauen Kleid mit dem albernen Peter-Pan-Kragen aus. Sie hatte ein breites Gesicht, aber der Schwung ihrer Wangenknochen lieà erahnen, dass sie im Erwachsenenalter eine Schönheit werden könnte. Ihre dunklen Augen waren intelligent und herausfordernd; der Körper war eher stämmig. Sie wirkte kräftig. Ganz anders als die ätherischen Wesen, die der Mörder bisher entführt hatte. War ihm ein Fehler unterlaufen? War er in Panik geraten? Konnten sie so schnell handeln, dass sie ihn fanden? Dass sie vor allem Theresa lebendig fanden? Clare glaubte einen Hoffnungsschimmer zu sehen.
»Zu allem Ãberfluss muss ich nachher zu einer Pressekonferenz. Was soll ich denen sagen? Diese Haie werden
sich auf das gefundene Fressen stürzen. âºWarum haben Sie diesen Mörder noch nicht gefasst? Was ist faul bei der Polizei?â¹ Dabei wissen du und ich genauso wie sie selber, dass sie umso mehr Zeitungen verkaufen, je länger er auf freiem Fuà ist. Diese Schweine.«
»Was weiÃt du über sie, Riedwaan?«, fragte Clare. Sie zuckte zusammen, als er vor einem Auto scharf einscherte, dessen Fahrer umgehend wütend auf die Hupe drückte. »Passt sie ins Muster?«
»Keine Ahnung. Sie ist ein Einzelkind. Der Vater ist Arzt auf einer Bohrinsel. Er ist heute Morgen gleich hergeflogen. Sie geht auf eine Privatschule in der Innenstadt. Begabtes Kind, talentierte Schauspielerin am Schultheater, wohlerzogenes Mamatöchterchen.« Er hupte erbost, als eine alte Frau vor ihm plötzlich die Spur wechselte.
»Was hat sich gestern Abend abgespielt?«
»Offenbar vertont das Studio nebenher Werbespots. Theresa verdient sich als Sprecherin ein zusätzliches Taschengeld, wenn dort Bedarf ist und sie Zeit hat. Sie hat ein Taxi nach Waterfront genommen, weil ihre Mutter zu der Zeit arbeitete. Kam kurz vor vier bei Fusion Films an und machte sich an die Arbeit. Ihre Mutter konnte sich erst um acht mit ihr treffen, deshalb wollte sie noch einen Spaziergang machen.«
»Warum erst so spät?«
»Mrs. Angelo hat einen Cateringservice. Sie hat einen Kindergeburtstag ausgerichtet, deshalb war sie bis halb sieben beschäftigt. Sie ist gleich danach nach Waterfront gefahren und hat auf Theresa gewartet, die nicht kam. Phiri schreit nach meinem Kopf auf einem Silbertablett.
Und der für Sicherheit zuständige Stadtrat tönt herum, dass die Bevölkerung kein Vertrauen mehr zur Polizei habe. Die werden mich kreuzigen, obwohl ich auf dem Papier ein Moslem bin.« Riedwaan bog auf den Parkplatz von Fusion Films ein und hielt.
»Dann fass ihn doch.«
»Wann, Clare? Wann? Für Wunder bist du zuständig. Was habe ich denn schon? Eine Beschreibung seiner Garderobe, eine Liste psychischer Probleme, die dieses arme Arschloch möglicherweise gehabt hat. Meine Mutter hat mich verprügelt, bis ich die Engel singen hörte, als ich klein war. Und bringe ich etwa deswegen jemanden um?« Riedwaan wandte sich ab. Clare ignorierte die Tränen, die ihm über das unrasierte Gesicht liefen.
»Wir verlieren, wenn wir uns streiten. Das weiÃt du.« Clare stieg aus. Sie wartete, bis Riedwaan sich beruhigt hatte. Sie spürte Theresas Präsenz, sie war da wie das Parfum einer Frau, die eben ein Zimmer verlassen hat. Clare bündelte ihre Gedanken, konzentrierte
Weitere Kostenlose Bücher