Blutsbraeute
Clare öffnete die letzte. »Wo bleibt das neue Material?«, mahnte der Produzent. »Ist es schon unterwegs? Ich habe zwei Angebote von internationalen Fernsehsendern, also wo ist der Nachschub, Liebling?«
Clare klickte auf Antworten. »Kommt demnächst, bloà keine Panik. Untersuche eben Verbindung mit hiesiger Pornoproduktion, bleibe also am Ball. C.« Sie packte das Band ein, auf dem Natalies Bericht aufgenommen war, die Nachschrift ihres Gesprächs mit der Barkeeperin Melissa, das Interview mit Landman, das sie ebenfalls noch zurückgehalten hatte. Dann nahm sie das Band in die Hand, auf dem ihr Gespräch mit Whitneys Mutter, Florrie Ruiters, festgehalten war, auf dem Florrie erklärte, wie der Druck der Banden wuchs und wie leicht es war, junge Frauen aufzulesen und zum Arbeiten zu zwingen. Sie zögerte kurz und packte es dann dazu. Das war nicht so direkt wie Natalies Geschichte, aber alltäglicher, weil auch Whitney und ihre Mutter, die einen ganz anderen biografischen Hintergrund hatten als Natalie, gegen den zunehmenden StraÃenraub und die Verschleppung von Frauen durch die Banden machtlos waren.
Clare duschte. Sie stand gerade vor ihrem Kleiderschrank und überlegte, was sie anziehen sollte, als es an der Tür klingelte.
»Hallo.« Clare rechnete damit, dass Riedwaans Stimme antwortete.
»Hi. Ich binâs, Tyrone.«
»Wer?«
»Der Barkeeper. Aus dem Blue Room am Hafen.«
Hoffnung flackerte in Clare auf, und sie betätigte den Türöffner.
»Kommen Sie herauf.« Sie schlüpfte in die nächstbeste Hose, zog sich schnell einen Pullover über und rief Riedwaan an. »Der Barkeeper aus dem Blue Room ist hier. Komm schnell her.« Sie klappte das Handy zu, als Tyrone auch schon an der Wohnungstür klopfte. Clare hielt sie ihm auf. »Möchten Sie etwas trinken?«
Tyrone folgte ihr in die Küche. »Kaffee wäre schön.« Er hatte einen rosa Rucksack in der Hand. Er legte ihn auf den Tisch und zog die Hand zurück, als ob der Rucksack gefährlich wäre. »Den habe ich gefunden«, sagte er. Er sah auf seine Hände herunter. Die Nägel waren abgekaut, in den Nagelbetten war an manchen Stellen getrocknetes Blut zu sehen.
»Wann?«, fragte Clare.
»Auf dem Heimweg am Freitag. Es ist ihr Rucksack. Theresas Rucksack.«
Clare hatte den Kessel in der Hand, wollte eben Kaffee aufgieÃen. Sie unterdrückte den überwältigenden Drang, Tyrone das heiÃe Wasser ins Gesicht zu schütten.
»Warum kommen Sie erst jetzt damit an? Das ist ein ungeheuer wichtiges Beweisstück, das Sie seit Freitagabend haben. Seit dem Abend, an dem sie verschwunden ist. Jetzt ist Sonntagmorgen.« Clare ging ganz nahe an ihn heran. Sein Atem stank nach zu vielen Zigaretten. »Wissen Sie, was für eine lange Zeit das für Theresa ist? Können Sie sich vorstellen, was ihr vielleicht inzwischen angetan wurde? Während Sie sich Sorgen darüber gemacht haben, ob Sie den Rucksack abgeben sollen oder nicht, Sie mieses Arschloch!«
»Es tut mir leid. Ich hatte Angst. Aber ich habe den Rucksack jetzt doch abgegeben. Vielleicht kann ich ihr ja noch helfen?«
Clare wandte sich ab, schämte sich wegen ihres Ausbruchs. Sie machte Kaffee, schenkte ihn Tyrone ein, reichte ihm Milch und Zucker. »Setzen Sie sich«, sagte sie. »Erzählen Sie mir, wie Sie den Rucksack gefunden haben.«
»An dem Abend war nicht viel los«, sagte er. »Ich habe früher geschlossen als üblich, gegen halb zwölf sind die letzten Gäste gegangen. Ich musste auf meine Mitfahrgelegenheit warten und habe mir drauÃen auf der Bank in der Nähe der Zugbrücke eine Zigarette angezündet. Es war so angenehm still. Ich konnte ein bisschen nachdenken.«
»Und was ist passiert, Tyrone, während Sie nachgedacht haben?« Er trank einen Schluck Kaffee. »Ich bin aufgestanden und auf dem Parkplatz herumgelaufen. Dort ist es geschützter, denn es war richtig kalt. Ich bin mit dem Fuà gegen das hier gestoÃen.« Er zwang sich, den Rucksack anzufassen, schob ihn Clare zu. Das Hello-Kitty-Logo darauf wirkte albern und kindisch.
»Ich konnte mich erinnern, dass Theresa am frühen Abend damit in der Bar war.« Er hatte Tränen in den Augen, als er Clare ansah. »Sie war so freundlich. So hübsch.«
Clare rührte den Rucksack nicht an. Es gab immer noch eine winzige Chance,
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