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Blutsbraeute

Blutsbraeute

Titel: Blutsbraeute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margie Orford
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die Ostwand. Das war die Richtung, in die Charnays Kopf zeigte, als sie gefunden worden war. Daneben kam Charnays lächelndes Schulfoto. Clare arrangierte die Aufnahmen vom Fundort und Piet Moutons Berichte kreisförmig um das Foto herum.
    An die Südwand klebte sie Amore Hendricks neben den grinsenden orangefarbenen Teufel. Die Karte mit den an einen Altar gefesselten Gestalten neben der ebenfalls gefesselten Mädchenleiche war nicht nach ihrem Geschmack, aber sie hatte keine andere Wahl.
    An die Westwand kam India King, ihr lachendes, sonnenbeschienenes Gesicht neben der katastrophalsten Karte – dem Turm. Sie zeigte einen Mann und eine Frau, die in die Tiefe stürzten. Diese Karte stand für den jähen Blitz des Begreifens. Clare ordnete alles, was sie hatte, um India King herum. Ihr Stiefvater müsste uns weiterhelfen können, dachte Clare. Sie sah zurück zu Charnays Wand – der Mörder konnte sie durch Kelvin Landman kennen gelernt haben. Oder im Isis Club. Sie sah keine Verbindung zu Amore Hendricks, aber das hieß nicht, dass es keine gab.
    Clare wandte sich nach Norden. Diese Wand bestand nur aus Glas. Sie griff zur letzten Karte, dem Gehängten,
und klebte sie an die Scheibe. Sie sah an dem höhnischen Lächeln der mit dem Kopf nach unten hängenden Gestalt vorbei aufs Meer. Es war friedlich. Das erste Licht tänzelte auf den Brechern. Clare wandte der Morgendämmerung den Rücken zu und schaute sich die grausigen Todesbilder an ihren Wänden an. Die Antwort war nahe, entzog sich ihr aber immer wieder, wie eine aus dem Augenwinkel beobachtete Bewegung, die sofort verschwindet, wenn man sie ganz ansehen will. Heiße Tränen hilfloser Wut stiegen in ihren Augen auf und rollten ihr über die Wangen. Was sehe ich nicht?, fragte sich Clare verzweifelt. Warum kann ich den Grund nicht sehen, aus dem diese Mädchen geblendet wurden?
    Sie brauchte Geduld. Und Zeit. Beides hatte sie nicht.
    Das Scheppern der Briefkästen unten neben dem Hauseingang, in die die Morgenzeitungen fielen, riss Clare aus ihrem Tagtraum. Bestimmt waren die Zeitungen voll mit Bildern der Vermissten und Rückblicken auf alle makabren Details der Morde an den drei bereits aufgefundenen Mädchen. Clare musste laufen. Sie zog den Jogginganzug an, froh darüber, dass sie ihre Regenjacke zu Hause lassen konnte. Die Luft war frisch, als Clare sich am Geländer der Ufermauer streckte. Das hob ihre Lebensgeister. Sie lief schnell zum Hafen. Das morgendliche Meer war flach. Tagelang hatten heftige Wellen ans Ufer geschlagen, endlich schienen sie sich erschöpft zu haben. Nach drei Kilometern kehrte sie um, genoss den Schweiß zwischen ihren Brüsten und auf dem Rücken. Die Sonne war über den Bergen aufgegangen, verwandelte das Wasser in Perlmutt. Ein einzelnes Fischerboot durchteilte die Oberfläche, ließ gebrochene Farben
im Kielwasser zurück. Clare nahm die Stille des Moments tief in sich auf. Sie würde diese Ruhe im Tumult des Tages brauchen, der vor ihr lag.
    Ihr Herz zog sich zusammen, als sie zur Three Anchor Bay kam. Eine kleine Menschenansammlung drängte sich an der Ufermauer. »Bitte nicht.« Ihre Worte hingen gemeinsam mit dem Nebel ihres Atems in der kalten Morgenluft. Clare lief langsamer, als sie sich der Gruppe näherte.
    Â»Was gibt es?«, fragte sie.
    Â»Jemand will einen Wal gesehen haben«, sagte eine alte Frau zu Clare.
    Â»Ich glaube nicht, dass es ein Wal war«, sagte ihre Begleiterin. »Ich bin mir sicher, dass es dieser See-Elefant ist. Denk doch daran, wie lange er im letzten Jahr hier war.« Das riesige Tier hatte im Vorjahr an diesem Strandabschnitt überwintert, hatte sich dort gesuhlt und klagend um seine Weibchen geheult. Nach drei einsamen Wochen war der See-Elefant ins Wasser zurückgekehrt und wieder in seine Heimatgewässer nach Marion Island geschwommen, Tausende von Meilen südöstlich von Kapstadt.
    Â»Da wäre ganz schön was los, wenn er wiederkäme«, sagte Clare. Der See-Elefant war zu einer Sehenswürdigkeit geworden, und Umweltschützer hatten eine Wache aufgestellt, damit ihm nichts passierte. Clare schaute auf die glatte Oberfläche des Meeres, aber dort war jetzt nichts zu sehen. Nur Müll, der in den kleinen Brechern an den Felsen hüpfte.
    Clare ging nach Hause und sah in ihren E-Mail-Posteingang. Eine Sintflut aus Nachrichten von ihrem
Produzenten in London.

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