Blutschande
Augenblick wirklich bewusst zu werden, was geschehen war.
»Ich bin zu spät gekommen«, sagte er. »Als ich den dumpfen Knall hörte, bin ich nach unten gerannt und habe meine Frau über Cecilie gebeugt vorgefunden. Sie hat geweint und ihr über die Haare gestreichelt. Cecilie war bereits blass und leblos. Ein paar Sachen aus dem Regal waren zu Boden gestürzt, doch ansonsten gab es keine Spur von Anne Grethes Tat.«
»Und dann haben Sie beschlossen, alles zu vertuschen?«
»Ich war der einzige von uns, der noch klar denken konnte. Anne Grethe war vollkommen weggetreten. Und dann kam mir der Gedanke an den Mord hier in Espergærde, der uns vor zwölf Jahren so erschüttert hat. Ein kleines Mädchen in Cecilies Alter war verschwunden und später ermordet an einen Baum gefesselt in Næstved wieder aufgetaucht. Ich dachte, dass ich Sie vielleicht auf eine falsche Fährte locken könnte, wenn ich es so aussehen ließ wie damals.«
»Damit hatten Sie recht.«
»Wir strickten eine Geschichte zusammen und gaben vor, sie wäre verschwunden, als sie mit dem Fahrrad zur Schule fuhr. Ihr Rad habe ich ins Hafenbecken geschmissen. Und ich habe ihr Handy beseitigt, damit niemand es hören oder aufspüren konnte. Auch das liegt im Øresund. Dann haben wir damit begonnen, das ganze Haus zu putzen, damit keinerlei Spuren gefunden werden, auch nicht von einem fremden Täter, so dass man diesen folglich nicht ausschließen konnte. Wir machten Cecilies Nägel sauber, damit die DNA von Anne Grethe nicht ermittelt werden konnte, fesselten ihre Hände so wie die von Kathrine mit zwei halben Schlägen, das hatte damals so in der Zeitung gestanden, und platzierten sie an einem Ort, von dem ich hoffte, dass niemand sie dort suchen würde. Der Plan war, sie dort zu entfernen, wenn die Zeit gekommen war und sich die Öffentlichkeit nicht mehr auf uns konzentrierte. Sollte sie entgegen allen Erwartungen trotzdem gefunden werden, was dann ja auch geschah, mussten wir auf die Verwirrung setzen. Deshalb stellten wir eine Leiter an die Hauswand, über die ein Täter von außen hätte einsteigen können.
»Sie waren klug. Alles war genau durchdacht«, sagte Roland und ging auf das Paar zu. Sie saßen nebeneinander auf dem Bett, hielten sich jetzt aber nicht mehr bei den Händen.
»Nur dass der Knoten nicht ganz der richtige war.«
Michael Junge-Larsen schüttelte seufzend den Kopf.
»Was ist nicht verstehe«, sagte Liv, »ist, warum Sie gesagt haben, dass Amalie Ihre Tochter ist?«
Anne Grethe seufzte tief und verbarg das Gesicht in den Händen.
»Das hat uns völlig aus der Bahn geworfen. Wir verstanden nicht, woher dieses neue Mädchen kam. Aus den Zeitungen wussten wir, dass es Cecilie wie ein Ei dem anderen glich. Als Sie dann zu uns gekommen sind, habe ich einfach meine Chance ergriffen und so getan, als wäre sie unsere Tochter. Ich habe nicht wirklich nachgedacht. In meinem Kopf war nur noch der Gedanke, dass wir Cecilie vielleicht zurückbekommen könnten. Wir hatten uns schon so tief in all den Lügen verstrickt, dass eine mehr oder weniger auch keinen Unterschied mehr machte.«
»Dann haben Sie gehofft, Amalie zu sich nehmen zu können, damit sie Cecilies Platz einnimmt, stimmt’s?«, ergänzte Anette vom Fenster aus. »Und so vielleicht Buße für die Vergangenheit zu tun?«
Anne Grethe Junge-Larsen nickte.
»Ja, vielleicht, so etwas in der Richtung.«
Roland warf seinen Kollegen im Raum einen Blick zu. Alle hatten irgendwie lange Gesichter.
»Wollt ihr noch mehr wissen?«, fragte er in den Raum, erntete aber nur Schweigen.
»Dann glaube ich, dass wir fertig sind«, sagte er und gab Max Motor und Lange Lind ein Zeichen, das Paar zurück in die Arrestzellen zu bringen.
Auf dem Weg aus dem Kinderzimmer fing Liv Anne Grethes Blick ein, und ihre Übelkeit wandelte sich in ein heftiges Krampfen ihrer Eingeweide. Sie musste jetzt wirklich ihre Mädchen sehen.
39
Vielleicht lag etwas in der Luft, vielleicht war es der Regen, der hartnäckig an den Scheiben des Sitzungszimmers im zweiten Stock des Präsidiums von Helsingør nach unten lief, oder es war einfach die Folge der Erlebnisse der letzten Woche. Auf jeden Fall schienen sie alle von irgendetwas ergriffen zu sein, die ganze Gruppe. Sie saßen am länglichen Tisch und warteten auf die letzten Worte ihres Ermittlungsleiters, bevor der Fall abgeschlossen wurde.
Möglicherweise war es eine Form der Melancholie, eine Art Trauer über den bevorstehenden Abschied?
Die
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