Blutschande
zurückbringen. Dieser Betrag ist im Übrigen inzwischen gestiegen, weil die Eltern über ihre Webseite Spenden erhalten haben. Auf dieser Webseite treten unter anderem auch prominente Sportler auf, die dazu aufrufen, den Eltern zu helfen. Des Weiteren haben die Eltern Videoclips ihrer Tochter aus den Sommerferien in Spanien auf Youtube und Facebook veröffentlicht.«
Anette nickte und unterbrach sie:
»Dieser Fall hat die Bevölkerung in einem bisher nicht gekannten Maße mobilisiert. Die Eltern nutzen die Medien auf eine ganze neue Art und Weise. Und das wirkt. Überall, an allen Arbeitsplätzen redet man über Cecilie, auch im Bus und in der U-Bahn. Wir können uns alle in die Haut der Eltern versetzen, und die Sympathie ist enorm. Alle denken: Wenn es sie treffen kann, kann es auch mich treffen. Und damit verkauft man Zeitungen.«
»Es gibt aber sicher auch Leute, die denken: Gut, dass es die erwischt hat und nicht mich«, unterbrach Per Roland sie.
Anette verdrehte lächelnd die Augen.
»Ja, du würdest sicher so denken.«
»Wie auch immer, muss das Interesse der Medien an diesem Fall nicht unbedingt ein Nachteil für uns sein«, sagte er und nahm einen Filzschreiber vom Whiteboard. Dann schrieb er die wichtigsten Details auf, während Liv weitersprach, ohne auf ihre Papiere zu schauen oder die Anwesenden zu betrachten, die ihr gespannt zuhörten.
»Nein, und als heute Morgen eine Kioskverkäuferin aus der Fähre Hamlet anrief, glaubten wir wirklich, wir hätten sie gefunden. Die Frau sagte uns nämlich, sie sei sich sicher, Cecilie in Begleitung eines etwa vierzigjährigen Mannes gesehen zu haben. Wir haben natürlich sofort die schwedische Polizei alarmiert, die daraufhin alle Passagiere überprüft hat, die die Fähre in Helsingborg verlassen wollten.«
Per Roland hielt mit dem Schreiben inne und wandte sich wieder Liv zu, die weiterredete:
»Der Mann mit dem Mädchen hatte kein reines Gewissen und fühlte sich natürlich verfolgt. Schließlich verbarrikadierte er sich mit dem Mädchen in einer Toilette. Als die schwedische Polizei ihn rauszuholen versuchte, bat er darum, mit mir und meinem Partner zu reden. Er ist ein alter Bekannter von uns. Ein Drogenabhängiger, der ein paar Mal in Verbindung mit einigen Banküberfällen bei uns war. Er hat in den letzten zehn Jahren dreimal gesessen. Sein Problem ist, dass er infolge seines Drogenkonsums einigen Leuten einen Haufen Geld schuldet, das er nicht zurückzahlen kann …«
»Und dann ›geht‹ er in eine Bank«, kam es trocken von Carsten Svendsen.
»Genau«, fuhr Liv fort. »Dieses Mal wollte er wohl einen kleinen Vormittagsausflug in eine Bank in Helsingborg machen, um sich dort etwas Geld zu holen. Er hatte seine Tochter mitgenommen und hoffte, dadurch die Aufmerksamkeit der Polizei abzulenken. Wegen seines Plans war er aber auch mit einer abgesägten Schrotflinte bewaffnet, die er aus einem anderen Einbruch hatte. Er verschanzte sich also auf dieser Toilette, und mein Partner entschied sich, allein zu ihm reinzugehen, und … na ja, den Rest habt ihr sicher gehört«, sagte sie und blickte in die Runde.
Alle nickten. »Wie geht es Ole?«, fragte Anette.
»Er liegt in Helsingborg in der Klinik. Der Schuss hat ihn am Arm erwischt, er wird also wieder«, sagte Liv und dachte an das Telefonat, das sie kurz vor der Sitzung mit ihm geführt hatte.
»Ich langweile mich bereits zu Tode«, hatte er gesagt. »Kannst du mir nicht ein bisschen schmutzige Literatur besorgen?«
»Magazine oder so etwas?«, hatte sie gefragt.
»Nein, Blödsinn. Lass mich an euren Ermittlungen teilhaben, so ganz nebenbei. Ich will bloß wissen, was läuft. Schick mir deine Berichte per Mail.«
Typisch Ole, hatte Liv gedacht und ihm versprochen, alles zu schicken, bevor sie sich auf den Weg zum Sitzungsraum gemacht hatte.
»Und der Drogenabhängige?«, kam es jetzt von Miroslav. »Du hast ihn angeschossen, oder?«
In seiner Stimme schwang so etwas wie Anerkennung mit.
»Ich habe ihm in die Schulter geschossen, ja. Davon stirbt man nicht. Er wird überleben. Ironischerweise liegt er im gleichen Krankenhaus wie Ole.«
»Entweder bist du blind oder dir ist wirklich scheißegal, was im Polizei-Reglement über den Schusswaffengebrauch steht. Da heißt es klipp und klar, dass man tödliche Schüsse abgeben soll, wenn andere Leben konkret gefährdet sind. Was du getan hast, war lebensgefährlich. Ein Schuss in den Arm oder ins Bein kann zu einem Adrenalinschock führen, der
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