Blutschande
Frage. Sie haben also nicht gestritten?«
»Nein, nie. Cecilie liebt ihren Vater. Und er würde ihr niemals etwas tun.«
»Wie würden Sie Ihre Tochter als Person beschreiben?«
»Sie ist hübsch und stark.«
Wieder eine Antwort, die Roland beinahe erwartet hatte. Er wusste inzwischen, dass er hier nur die Antworten erhielt, die das Bild der Mutter von ihrer perfekten Familie stützte.
Er änderte seine Taktik.
»Wissen Sie, ob Cecilie von jemandem verfolgt wurde? Manchmal passiert so etwas ja, wenn man in der Öffentlichkeit steht.«
»Verfolgt? Nein, davon habe ich nichts gehört.«
»Hat sie keine E-Mails oder SMS bekommen, die sie merkwürdig oder unangenehm fand?«
»Ihr Label kümmert sich um die meisten Zuschriften aus der Öffentlichkeit. Einmal im Monat signiert sie Autogrammkarten, die dann ihren vielen Fans geschickt werden.«
»Dann wissen Sie nichts von einem eventuellen Verfolger? Keine Blumen? Keine Schokolade vor der Tür?«
Anne Grethe Junge-Larsen schüttelte den Kopf.
Roland dachte daran, dass Liv am Telefon angedeutet hatte, es könne sich bei Schultheiss um einen Stalker handeln.
»Das Verhalten gleicht keinem einfachen Verfolgungsmuster«, hatte Anette auf seine Nachfrage gesagt. »Ein Stalker sammelt Souvenirs und folgt demjenigen, von dem er besessen ist. Er hängt sich Bilder des Betreffenden auf, das stimmt schon, aber er würde sie nicht kaputtmachen oder seinem Liebling das Gesicht wegkratzen. Die Verfolger sind in der wirklichen Welt vollkommen machtlos, sie bauen sich eine Fantasiewelt auf, um keine Abweisung erleben zu müssen. In ihren Köpfen haben sie eine enge Beziehung zu ihren Lieblingen, manche glauben sogar, eine echte Liebesbeziehung mit ihnen zu haben.«
Roland seufzte und wechselte erneut das Thema.
»Okay. Was hat sie am Wochenende gemacht?«
»Da war sie mit uns zusammen. Das heißt, Samstag waren wir in Kopenhagen und haben ihr eine neue Jacke gekauft, aber Sonntag waren wir hier zu Hause.«
»Sie waren den ganzen Tag zu Hause?«
Anne Grethe Junge-Larsen dachte nach.
»Ja, aber das sind wir doch alles schon durchgegangen.«
»Ich möchte gerne, dass Sie es noch einmal wiederholen. Es kann dabei ja etwas auftauchen, was bislang noch nicht erwähnt worden ist, weil Sie es nicht für relevant hielten, was uns aber trotzdem auf die Spur Ihrer Tochter bringen kann.«
»Gut, dann versuche ich noch einmal, mich an alles zu erinnern. Also, wir waren im Hafen, wo unser Segelboot liegt. Wir haben ein letztes Mal an Deck gegessen, weil das Boot am nächsten Wochenende ja an Land kommt. Das ist eine Familientradition. Mag sein, dass das ein bisschen dumm ist, aber …«
Per Roland lächelte höflich. Nicht so dumm wie manch eine Sache, die er mit seiner Familie am Sonntagsmorgen unternommen hatte. Als sie noch eine Familie waren.
»Haben Sie mit jemandem gesprochen? Hat Cecilie mit jemandem gesprochen?«
»Also, das weiß ich wirklich nicht. Wir reden doch ständig mit allen da unten.«
»Haben Sie mit jemandem gesprochen, mit dem Sie sonst nicht reden?«
Anne Grethe Junge-Larsen dachte dieses Mal richtig gründlich nach.
»Doch, da waren ein paar junge Männer, die sich für das Boot interessiert haben. Sie haben mit meinem Mann darüber gesprochen. Aber ich glaube nicht, dass die hier aus Dänemark waren.«
Roland erstarrte innerlich, wahrte aber seine Maske.
»Woher dann?«
»Was weiß ich. Mein Mann hat irgendwas von Osteuropa gesagt. Wir können ihn ja gleich fragen. Er ist sicher bald fertig.«
»Vielleicht können Sie ihn holen, während ich mir Cecilies Zimmer anschaue?«
»Ihr Zimmer? Ja, aber … wäre es nicht besser, wenn Sie draußen nach ihr suchen würden?«
»Schon, aber vielleicht gibt es da etwas, das uns auf ihre Spur bringt. Wir müssen auch ihren Computer zur Untersuchung mitnehmen. Sie hat doch sicher einen, oder?«
»Doch, doch, sie hat einen, aber müssen Sie den wirklich mitnehmen?«
»Ja, es kann sein, dass sie eine Mail bekommen hat, die alles erklärt. Oder dass sie mit jemandem gechattet und vielleicht ein Treffen vereinbart hat. Wir dürfen keine Spuren außer Acht lassen.«
Auch wenn alles danach aussieht, dass sie in die Hände eines vorbestraften Pädophilen gefallen oder Opfer einer osteuropäischen Kidnapperbande geworden ist, dachte Roland. Doch davon sagte er natürlich nichts. Wie er sich auch nicht auf den Gedanken einlassen wollte, was davon die schlimmere Alternative wäre.
»Ja, also, Sie müssen die Treppe
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