Blutschande
schütteren Buchenhecke. Die Vorhänge im Haus waren geschlossen, kein Lichtstrahl fiel nach draußen.
Sie klingelte und warf einen Blick auf ihr Handy. Es war drei Minuten nach neun. Hoffentlich hatte der Vater ihrer Kinder ihre beiden Süßen rechtzeitig ins Bett gebracht. Sonst waren sie am nächsten Tag immer so nervig. Sie seufzte. Plötzlich vermisste sie ihre beiden ganz schrecklich.
Sie klingelte noch einmal. Noch immer keine Antwort, aber da sie aus dem Inneren des Hauses Stimmen hörte, fasste sie an die Klinke und stellte zu ihrer Verwunderung fest, dass die Tür unverschlossen war. Dann hörte sie einen Mann rufen. Liv zuckte kurz zusammen, bis sie erkannte, dass die Stimmen aus dem Fernseher kamen. Im Wohnzimmer waren alle Lampen gelöscht, nur der Fernseher hüllte den Raum in ein bläuliches Licht.
»Mette Berendsen?«
Liv trat vorsichtig auf den Flur, ihren Polizeiausweis vor sich ausgestreckt.
»Hier ist die Polizei.«
Ein großer, geblümter Sessel stand mit dem Rücken zur Tür vor dem Fernseher. Liv erkannte einen Arm auf der Lehne und über dem Sesselrücken den oberen Teil eines Kopfes. Sie rief noch einmal, erhielt aber keine Antwort. Zunehmend verunsichert eilte sie ins Wohnzimmer.
»Hallo? Mette Berendsen? Schlafen Sie?«
Als sie den Sessel erreicht hatte und um ihn herumging, verschlug es ihr den Atem. Eine dicke Frau, bei der es sich, wie Liv annahm, um Mette Berendsen handelte, starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. Ihr Mund stand offen, und ihr Kopf war seitlich auf die Schulter gesackt.
Liv rang nach Atem. Die Spuren an ihrem Hals sprachen eine deutliche Sprache: mit bloßen Händen erwürgt. Sie beugte sich über die Frau und tastete an ihrem Hals nach einem Puls, konnte aber nichts finden. Ihre Haut war noch warm. Sie konnte erst wenige Minuten tot sein.
Liv trat einen Schritt zurück und starrte die beleibte Frau an. Ihr Körper schien fast mit dem Sessel verwachsen zu sein. Auf dem Boden lag ein Stück Pizza, und die Finger ihrer rechten Hand glänzten fettig. Leere Tüten und Verpackungen von Kuchen, Chips und Fertiggerichten, die sie allem Anschein nach direkt aus der Packung gegessen hatte, türmten sich auf dem Sofatisch. Eine Dose geschmolzenes Eis war umgekippt und tropfte zu Boden. Die Frau war ermordet worden, während sie versucht hatte, sich zu Tode zu fressen.
Liv sah sich rasch im Haus um und konstatierte, dass sie allein war. Dann wühlte sie in ihrer Tasche nach ihrem Handy und rief Per Roland an.
»Wir haben einen weiteren Mord«, hörte sie sich selbst sagen.
19
Max Motor wurde im Hotelzimmer im Zentrum von Helsingør von Anettes Telefon geweckt, das als Erstes klingelte. Als seines läutete, war er – wie Per Roland richtig vermutet hatte – bereits angezogen.
Miroslav schrak von seiner Matratze im Einzimmerapartment eines Freundes in Vapnagaard auf, bei dem er schlafen konnte, während sie in der Stadt waren.
Carsten Svendsen wachte im Sessel seines Hotelzimmers auf, in dem er mit einem belgischen Bier in der Hand eingeschlafen war, während Lange Lind die ganze Nacht über am Tatort gewesen war, um bei der Spurensicherung zu helfen. Die Kriminaltechniker waren fast fertig, und die erste, vorläufige Leichenschau war soeben beendet worden.
Liv und Roland waren beide für ein paar Stunden zu Hause gewesen und hatten geschlafen. Zu Rolands Verwunderung sah Liv überraschend frisch aus. Auf jeden Fall waren sie jetzt bereit, den Fall zu bearbeiten.
Als letzter von ihnen allen trat Miroslav durch die Tür des kleinen Reihenhauses. Auch er sah erstaunlich wach aus.
»Was haben wir?«, fragte er mit einer Frische, die Roland einen Moment lang vergessen ließ, dass es erst kurz nach sechs war.
Die ganze Gruppe starrte Miroslav an, und Roland fragte sich, wie er es nur geschafft hatte, in so kurzer Zeit zu duschen, sich Wachs in die Haare zu kneten und wie ein ganzer Parfümladen zu duften.
»Eine Frau, fünfundzwanzig Jahre alt, auf ihrem Sessel erwürgt«, sagte er.
Die Gruppe war sichtlich verwirrt.
»Und was zum Henker hat das mit unserem Fall zu tun?«, fragte Miroslav.
»Zwei Morde in ein und derselben Stadt, und das innerhalb weniger Tage, sind selten ein Zufall. Außerdem hat die Frau kurz vor ihrer Ermordung im Präsidium angerufen und mit Liv gesprochen.«
Liv übernahm. »Sie hat nicht viel gesagt. Eigentlich nur einen Satz.«
»Und der ist wichtig«, fiel ihr Roland ins Wort.
»Ja, ich dachte erst, sie würde auch nur mit
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