Blutschande
warten.«
Roland sah sich um. Er wollte sichergehen, dass niemand ihr Gespräch belauschte.
»Die Eltern sind auf dem Weg hierher«, sagte er mit leiser Stimme. »Gibt es einen anderen Eingang als den Haupteingang, vor dem die Journalisten stehen?«
»Ja, den Hintereingang. Aber dort führt nur eine Straße hin, und die geht am Haupteingang vorbei.«
»Dann ist es nicht zu vermeiden, dass die Journalisten sie sehen?«
»Kaum.«
»Erst recht nicht, wenn sie in einem Streifenwagen kommen«, murmelte Roland. Er holte sein Handy und rief den Wachhabenden an.
»Geben Sie Order, dass der Streifenwagen zum Hintereingang fährt. Wir werden sie dann schon irgendwie durch die Journalisten lotsen.«
»Verstanden«, sagte der Wachhabende.
Roland fuhr mit dem Fahrstuhl nach unten und ging zum Hintereingang.
Durch die großen Scheiben sah er, dass auch dort bereits einige Fernsehjournalisten Stellung bezogen hatten, als hätten sie seine Gedanken gelesen. Er kratzte sich am Kopf.
»Verfluchter Mist«, sagte er laut, als er im gleichen Moment den Streifenwagen mit den Eltern vorfahren sah. Er trat durch die Glastüren nach draußen und ging zu dem Wagen, den die ersten Journalisten bereits umringt hatten, während immer weitere angerannt kamen.
»Lassen Sie die armen Menschen doch in Ruhe«, schimpfte Roland und öffnete die hintere Tür, damit die Eltern aussteigen konnten.
»Stimmt es, dass Sie Ihre Tochter eingesperrt hatten?«, lautete die erste Frage.
Roland warf dem fragenden Journalisten einen wütenden Blick zu und versuchte die Eltern vor der Horde abzuschirmen. Aber er hatte sich verrechnet und nicht daran gedacht, dass das Ehepaar Junge-Larsen die Presse im Griff hatte. Arm in Arm bauten Michael und Anne Grethe Junge-Larsen sich vor den zahlreichen Journalisten auf, während Blitzlichter aufflackerten, man ihnen Handys entgegenstreckte und die Fernsehkameras ihre Positionen einnahmen. Michael Junge-Larsen zögerte einen Augenblick, als müsse er einen Moment nachdenken, doch Roland hatte den Verdacht, dass er ihnen in Wirklichkeit nur die Zeit geben wollte, ihre Objektive scharf zu stellen und sich bereit zu machen. Die Presse sollte alles mitbekommen.
»Es stimmt, wir glauben, dass das Mädchen, das hier drinnen im Krankenhaus liegt, unsere Tochter ist«, sagte er dann.
Die Journalisten hielten die Luft an.
»Sie ist vor vielen Jahren verschwunden, und ihr Verlust war für uns kaum zu ertragen.«
Ein Reporter öffnete den Mund und wollte etwas sagen, wurde aber von Michael Junge-Larsen unterbrochen.
»Die näheren Umstände ihres Verschwindens würden wir gerne erst mit der Polizei besprechen, bevor wir damit an die Öffentlichkeit gehen«, sagte er und entwaffnete die Journalisten damit vollständig.
»Wir hoffen auf Ihr Verständnis. Es war eine unerträglich schwere Zeit für unsere kleine Familie, aber vielleicht erhalten wir heute ja eine unserer beiden Töchter zurück.«
Michael Junge-Larsen sah seine Frau an, die stumm nickte.
Auch die Journalisten schwiegen, und Roland spürte eine seltsame Zusammengehörigkeit. Als hätte Michael Junge-Larsen echtes Verständnis bei ihnen geweckt.
Schnell gab er dem Paar ein Zeichen, ihm durch die Glastüren zu folgen, während die Journalisten stehen blieben. Sie schienen sich tatsächlich mit der Antwort zufriedenzugeben, die sie erhalten hatten.
31
Der Arzt öffnete vorsichtig die Tür zu dem kleinen Einzelzimmer, in dem das Mädchen mit geschlossenen Augen auf dem Bett lag. Wären da nicht die Schläuche in der Nase und der Tropf an der Hand gewesen, hätte man den Anblick friedlich nennen können, dachte Per Roland und trat ein. Das Ehepaar Junge-Larsen folgte ihm, noch immer Hand in Hand. Es war dunkel, die Gardinen waren zugezogen, und das Licht aus Rücksicht auf die empfindlichen Pupillen des Mädchens gelöscht worden. Die Haut des Kindes wirkte noch immer durchsichtig, so dass die darunterliegenden Adern zu erkennen waren.
Anne Grethe Junge-Larsen war sichtlich bewegt und lächelte den Arzt an.
»Darf ich?«, fragte sie.
Der Arzt nickte, und sie beugte sich über das Bett und berührte das Mädchen sanft am Gesicht. Ihr Zeigefinger fuhr zärtlich über Stirn und Wangen des Kindes.
Per Roland sah, dass sie ihre Tränen nur schwer zurückhalten konnte. Dann legte sie ihren Kopf neben dem des Kindes auf das Kissen.
»Mein kleiner Engel«, flüsterte sie und küsste die Wange des Kindes. Dann brach sie in Tränen aus, und Michael
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