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Blutschande

Titel: Blutschande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Therese Philpsen
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angespannt aus.
    »Julie wurde aus dem Kinderwagen entführt, als sie kaum zwei Monate alt war.«
    Michael Junge-Larsen starrte auf die Tischplatte, blickte dann zu Liv und Roland und sah schließlich seine Frau an.
    »Es hat uns damals jemand erpresst.«
    Er seufzte wieder und ließ seinen Blick erneut durch den Raum schweifen.
    Liv sah zu Anette, die das Paar beobachtete.
    Im gleichen Moment klopfte es an der Tür. Der Wachhabende steckte den Kopf herein und rief Roland zu sich, der nach draußen auf den Flur ging. Liv und Anette sahen sich erstaunt an.
    Liv setzte zur nächsten Frage an:
    »Warum sind Sie nicht zur Polizei …«, wurde aber von Roland unterbrochen, der wieder in das Zimmer gekommen war.
    »Das Krankenhaus hat angerufen. Ihre Tochter ist aufgewacht und sitzt im Bett.«
    Liv beobachtete das Ehepaar, das erst zögerte, sich dann aber lächelnd umarmte.
    »Können wir gleich zu ihr?«
    Roland blickte zu Anette und hob resignierend die Arme.
    »Natürlich können Sie das«, sagte sie und sah Roland etwas ärgerlich an. »Du willst ihnen doch wohl nicht das Wiedersehen mit Ihrer Tochter verwehren, die sie seit elf Jahren nicht mehr gesehen haben?«
    Auch Liv sah ihn an.
    »Nein, das will ich nicht«, sagte er und breitete die Arme noch weiter aus. »Wir fahren alle zusammen ins Krankenhaus. Den Rest bereden wir dann später.«
    Liv stand auf und wartete, damit die Eheleute Junge-Larsen mit Roland den Raum verlassen konnten. Bevor sie durch die Tür treten konnte, hielt Anette sie am Arm fest.
    »Sie lügen«, sagte sie. »Irgendetwas verbergen sie.«
    Liv sah sie an.
    »Man sieht es ihren Augen an«, sagte sie. »Michael Junge-Larsen ist euren Blicken bewusst ausgewichen, als du nach dem Namen des Mädchens gefragt hast.«

32
     
    Anette fuhr mit Liv, während Roland die Eltern in seinem Wagen mitnahm. Als sie alle gemeinsam am Krankenhaus aus den Autos stiegen, sah Liv den Eltern ihre Nervosität an. Michael Junge-Larsen hatte den Arm um seine Frau gelegt, während sie zum Hintereingang gingen.
    Die Journalisten waren verschwunden, anscheinend rechnete niemand damit, dass noch etwas geschehen würde, nachdem die Eltern zuvor bereits das Gebäude verlassen und der versammelten Presse zugewinkt hatten.
    Liv wusste nicht, ob sie es ertragen würde, der Widervereinigung beizuwohnen. Große Gefühle lagen ihr nicht sonderlich.
    »Ich bleibe draußen«, sagte sie deshalb zu Roland, als sie auf dem Weg zum Aufzug waren.
    Die Eheleute Junge-Larsen sahen sie nicht einmal an, sie hatten ihre Blicke konstant zu Boden gerichtet.
    »In Ordnung«, antwortete Roland, ohne sie nach einem Grund zu fragen.
    Anette beugte sich zu ihm hinüber.
    »Vielleicht ist es anfänglich besser, wenn nur einer von uns mit im Raum ist«, sagte sie mit leiser Stimme. »Sonst wirkt das für die Kleine möglicherweise zu aufdringlich. Nach allem, was wir wissen, hat sie sich ja den Großteil ihres Lebens drinnen aufgehalten und außer ihrem Entführer vielleicht kaum jemanden gesehen. Fünf fremde Menschen können ihr da schnell zu viel werden.«
    Roland seufzte.
    »Du hast recht. Es ist aber wichtig, dass einer von uns dabei ist. Ihre ersten Worte könnten für die Ermittlungen von entscheidender Bedeutung sein. Vielleicht nennt sie irgendwann einen Namen, an den sie sich erinnert.«
    »Also, was schlägst du vor?«, fragte Liv und fuhr sich mit der Hand durch die Haare, die rings um die rasierte Stelle noch immer hart und blutverklebt waren.
    Roland fuhr mit leiser Stimme fort:
    »Anette geht mit rein und hört zu, was das Mädchen sagt. Sie kann auch die Eltern unterstützen, sollten sie das nötig haben. Sie kennt sich mit so etwas aus. Wir warten draußen.«
    Liv nickte erleichtert.
    Der Aufzug hielt an, und sie betraten den Flur. Wortlos gingen sie am Schwesternzimmer vorbei, in dem eine einzelne Schwester saß und eine Tasse Kaffee trank. Liv wunderte sich, dass ihnen auf dem Weg zu dem Zimmer nicht noch mehr Personal oder Ärzte begegneten. Vor der Tür angekommen, blieb sie mit Roland auf dem Flur stehen, während sich Anette und die Eltern bereit machten, den Raum zu betreten. Die Eltern zögerten eine Sekunde vor der Tür und sahen zu Anette hinüber.
    »Atmen Sie tief durch«, sagte sie mit einem leichten Lächeln. »Das ist Ihre Tochter dort drinnen. Denken Sie aber daran, dass sie Sie nicht wiedererkennen wird. Sie hat Sie nicht gesehen, seit sie wenige Monate alt war, und kann sich aller Voraussicht nach nicht an Sie

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