Blutschande
fragte Max.
»Ja, und nicht nur das.«
Sie alle erstarrten.
»Mette Berendsen hat es beobachtet.«
»Ah«, sagte Anette und schien plötzlich alles zu begreifen. »Das war es also, was sie zu verdrängen versuchte. Sie hat dabei zugesehen, wie ihre beste Freundin vergewaltigt wurde und hat diese unerträgliche Belastung seither zu vergessen versucht. Hat sich mit Essen vollgestopft, um das Gefühl von Scham und Furcht zu betäuben.«
Per Roland runzelte die Augenbrauen.
»Scham, wieso das denn?«, fragte er.
Anette zuckte mit den Schultern.
»Vielleicht weil sie nicht eingegriffen hat? Weil es ihr nicht gelungen ist, den Täter zu stoppen.«
Sie sah zu Liv.
»Wer hat das gemacht?«
Liv schüttelte den Kopf.
»Das stand da nicht.«
Roland hob einen Finger und sah aus wie ein Lehrer.
»Der Täter scheint aber zu glauben, dass es da steht. Deshalb hat er das ganze Haus durchsucht und Liv niedergeschlagen. Er wollte dieses Buch.«
Alle nickten.
»Ich denke, Mette Berendsen hat den Täter erpresst, sie hat damit gedroht hat, sein Geheimnis zu verraten«, sagte Liv.
»Meinst du, dass deshalb so viel Geld auf der Kommode lag?«, fragte Lind.
»Ja, und dass sie es sich deshalb leisten konnte, in diesem Haus zu wohnen.«
»Dann wurde Mette Berendsen also getötet, weil sie etwas gegen jemanden in der Hand hatte? Weil sie wusste, wer Katja Adelskov vergewaltigt hat?«, fragte Max Motor.
»Und wer sie geschwängert hat, das dürfen wir auch nicht vergessen«, ergänzte Anette. »Psychologisch betrachtet kann das eine noch größere Rolle spielen.«
»Wie das?«, fragte Miroslav.
»Es verband ihn mit seinem Opfer und machte das Verbrechen erst sichtbar.«
»Kann das der Grund sein, weshalb Mette Berendsens Hände nicht gefesselt waren wie bei Cecilie und den anderen Mädchen?«, fragte Roland. »Weil dieser Mord keine sexuelle Grundlage hatte?«
Anette nahm ihre Lesebrille ab und zuckte mit den Schultern.
Roland reagierte verärgert.
»Aber verdammt, Anette, so etwas solltest du doch wissen! So etwas musst du wissen!«
Sie hob die Hände.
»Es ist sicher eine Möglichkeit, aber konkret ist diese Frage schwer zu beantworten, wenn man den Täter nicht besser kennt.«
»Das musst du mir erklären.«
»Also, ausgehend von den Morden an den ersten beiden Mädchen würde ich ihn als einen sadistischen Vergewaltiger und Mörder der schlimmsten Sorte einschätzen. Jemand, der mordet und seine Opfer ausstellt, um uns zu zeigen, was er kann, wozu er in der Lage ist. Der Mord an Cecilie war weniger sadistisch, sie wurde nicht vergewaltigt, und auch das Ersticken war weniger barbarisch. Desgleichen der Fundort der Leiche – die hatte mehr den Charakter eines Verstecks als eines Präsentiertellers. Im Gegenzug war da aber seine persönliche Handschrift. Der Mord an Mette Berendsen war dann wieder eher brutal, doch dieser Mord kam einer Liquidierung gleich, ohne jeden sexuellen Unterton.« Anette schwieg eine Sekunde. »Auf den ersten Blick kann ich da kaum einen roten Faden erkennen.«
»Wir können aber doch wohl schlussfolgern, dass es der gleiche Täter ist, der unsere vier Morde begangen und Katja Adelskov vergewaltigt hat?«, stellte Roland in den Raum.
Seine Mitarbeiter antworteten mit Schweigen.
»Jetzt komm schon … es muss doch derselbe Täter sein, wenn er Mette Berendsen wie die kleinen Mädchen tötet?«
Anette zuckte mit den Schultern.
»Prinzipiell kann es derselbe sein, ja.«
»Aber was glaubst du?«
»Fragst du mich als Mensch oder als Psychologin?«
Roland breitete die Arme aus.
»Ist das jetzt nicht egal? Ich will einfach nur wissen, ob wir denselben Kerl suchen, und ob du glaubst, dass er Katja Adelskov umgebracht hat?«
Anette blickte auf die Tafel mit den Bildern der drei Mädchen und Mette Berendsen. Dann stand sie auf, trat dicht an die Tafel heran und studierte eine nach der anderen ganz genau.
Roland sah auf seine Uhr und trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Dann stöhnte er demonstrativ, aber Anette reagierte nicht. Sie konzentrierte sich weiter auf die Bilder der Ermordeten, bis sie sich schließlich langsam zu ihm umdrehte.
»Sollte es wirklich derselbe Täter sein, glaube ich nicht, dass er das allein gemacht hat. Die vier Morde sind sehr unterschiedlich.«
Roland hatte gerade den Mund aufgemacht, um etwas zu sagen, als sein Handy zu klingeln begann. Er holte es aus der Tasche und zeigte auf Anette, bevor er das Gespräch entgegennahm.
»Wir müssen noch reden«,
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