Blutschande
zugewandt stand Benedikte Adelskov. Vor ihr hatte sich ein großer Mann mit grünem Hut und schwarzem Mantel aufgebaut, der sie mit einem Jagdgewehr bedrohte. Auf dem Sofa saß eine kleine, blasse, magere Frau, die sie nicht kannten, die aber Julie an sich drückte. Sie sah ebenso zerbrechlich und wächsern aus wie das Mädchen.
»Ich mache da nicht mehr mit, Mutter«, sagte der Mann unter Tränen. »Ich habe genug.«
Benedikte Adelskov schnaubte.
»Jetzt reiß dich doch zusammen. Du bist immer so ein Jammerlappen gewesen.«
»Nein! Ich will nicht mehr. Du hast mich zu all dem gezwungen. Du hast mein Leben zerstört. Unser aller Leben!«
»Hör mit dem Geschwätz auf«, fauchte Frau Adelskov.
»Du weißt ganz genau, dass wir so handeln mussten.«
»Hatte ich denn eine Wahl? Du hast gesagt, dass du sie fortschicken und unser Kind weggeben würdest. Und dass ich sie niemals wiedersehen würde.«
»Und das hätte ich besser tun sollen. Dann stünden wir jetzt nicht hier.«
»Ich habe sie geliebt. Und ich liebe sie noch heute! Was ist falsch daran, jemanden zu lieben? Was zum Teufel ist falsch daran?«
»Sie ist deine Schwester, Erik! Für so etwas geht man ins Gefängnis. Man bekommt keine Kinder mit seiner eigenen Schwester. Ihr seid selbst schuld daran, dass wir jetzt hier stehen.«
Der Mann hob das Gewehr an und zielte auf Benedikte Adelskov.
»Es reicht«, sagte er.
Liv sah zu Roland hinüber, und als er nickte, trat sie die Tür auf und stürmte in den Raum.
»Tun Sie das nicht«, sagte Roland.
Sie richteten ihre Waffen auf die Personen in dem kleinen Raum, und Liv ging zu dem Mann mit dem Gewehr.
»Ich jage ihr eine Kugel in den Kopf, wenn Sie noch näher kommen«, rief Erik Adelskov mit zitternder Stimme.
»Denken Sie an Ihre Tochter«, sagte Liv. »Wenn Sie Ihre Mutter töten, bekommen Sie lebenslänglich. Dann werden Sie Julie nie aufwachsen sehen.«
»Amalie«, sagte Erik, während ihm die Tränen über die Wangen strömten.
»Amalie?«
»Sie heißt Amalie.«
Erik Adelskov zitterte am ganzen Körper.
»Gut«, sagte Liv. »Wenn Sie Ihre Mutter erschießen, kommt sie zu leicht davon.«
Tränen rannen wie Sturzbäche über Eriks Wangen. Dann schüttelte er den Kopf.
»Sie hat mein Leben zerstört«, sagte er und warf das Gewehr weg. »Sie hat unser aller Leben zerstört.«
36
Wir stehen jetzt draußen vor dem Sommerhaus, aber die Eltern sind nicht hier. Seit heute Abend, als der Nachbar Licht bei ihnen bemerkt hat und das Auto in der Einfahrt stand, sind sie nicht mehr gesehen worden. Die sind wie vom Erdboden verschluckt«, sagte Carsten Svendsen.
»Hört euch bei Nachbarn und Freunden in ganz Hornbæk um, und auch bei denen in Espergærde. Überwacht ihr Haus, das ganze Programm. Wir müssen sie einfach finden.«
Per Roland rief fast ins Telefon, bevor er auflegte und es in die Tasche steckte.
»Verdammt«, stöhnte er und sah Liv an, die neben ihm stand. »Wie konnte Anette nur so dumm sein, sie gehen zu lassen?«
»Jetzt hör aber auf, Roland«, sagte Liv. »Sie hatte keinerlei Grundlage, die beiden noch länger festzuhalten.«
Roland seufzte müde, als sie zurück ins Vernehmungszimmer gingen. Sie hatten Benedikte Adelskov jetzt zum zweiten Mal hier oben, sie weigerte sich aber noch immer zu sprechen. Nach 15 Stunden in einer Zelle ohne Haushälterin und Zucker im Kaffee hätte sie eigentlich weich genug sein sollen, aber ihr starrer Gesichtsausdruck ließ anderes vermuten. Sie hatten bereits Katja Adelskov und ihre Tochter Amalie vernommen, die im Anschluss beide für weitere Untersuchungen ins Krankenhaus gebracht worden waren. Erik Adelskov hatte bei der Festnahme einen Nervenzusammenbruch erlitten und konnte noch nicht vernommen werden, da er unter dem Einfluss starker Medikamente stand.
»Hören Sie, wir haben von Ihrer Tochter bereits die ganze Geschichte gehört. Sie hat uns gesagt, dass Sie sie in Ihrem Keller eingesperrt haben, nachdem Sie herausgefunden hatten, dass sie schwanger war. Warum haben Sie das gemacht?«
Sie schwieg noch immer.
»Okay, dann fangen wir noch einmal von vorne an und beginnen mit dem, was wir wissen. Sie können dann ja die Löcher füllen, sollte es welche geben, okay?«
Die ältere Frau sah ihn nur an.
»Katja hat ausgesagt, dass sie 1996 mehrmals mit ihrem Bruder Erik Adelskov geschlafen hat. Sie waren ineinander verliebt, nicht wahr?«
Die ältere Frau biss sich auf die Lippe und spitzte den Mund, sagte aber noch immer nichts.
»Ich
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