Blutschnee
vorgehen konnten – vor allem bei Verfahren, an denen die leibliche Mutter beteiligt war.
Sie konnte den Sheriff anrufen und den Vorfall melden, doch dann stünde Aussage gegen Aussage, und das brachte nichts. Marybeth war in keiner beweisbaren Weise bedroht worden. Vielleicht hat Joe ja eine Idee, dachte sie, versuchte, ihn ans Handy zu bekommen, und fluchte laut, als er nicht abnahm. Er musste es ausgeschaltet haben. In einer Stunde allerdings würde er Sheridan vom Basketballturnier abholen. Dann würde Marybeth es wieder versuchen.
Eine Stute wieherte aggressiv, und Marybeth sah auf.
»Ihr bekommt euer Fressen ja«, sagte sie, doch ihre Stimme klang schwach. »Lasst mich nur kurz überlegen und zur Ruhe kommen.«
Nachdem sie die Pferde gefüttert hatte, schob Marybeth die Stalltür auf, betrachtete die Reifenspuren des Pick-ups und entdeckte Jeannie Keeleys Kippe und ihre Streichhölzer im Schnee. Fast schien sie wieder vor ihr zu stehen, hasserfüllt durch den Rauch zu blinzeln und ihr widerliche Worte an den Kopf zu werfen. Auch der ungepflegte Mann schien wieder da zu sein, die Handfeuerwaffe in der Hose.
Diese zwei verkommenen Gestalten, dieser Abschaum wollte ihr April wegnehmen! Die Ungerechtigkeit ließ heftige Leidenschaft in ihr auflodern. Kinder sind keine Haustiere, keine Möbel, keine Gegenstände, und sie dienen nicht dazu, »Besitzern« Vergnügen zu bereiten, dachte sie zornig.
Sie schwang die Fäuste zum Himmel. Dann schleuderte sie den leeren Eimer durch den Stall, so dass er krachend gegen eine Wand schlug, was die Pferde wieder in ihre Koppeln eilen ließ. Tränen stiegen Marybeth in die Augen und liefen ihr über die Wangen.
17
Sheridan Pickett stand in der Ziegelnische der Schule und wartete auf ihren Vater. Ihr Haar war noch feucht – also setzte sie die Kapuze auf. Das Basketballturnier hatte am letzten Tag der Ferien stattgefunden, und am nächsten Tag würde eine Liste ihr und den übrigen Bewerberinnen melden, wer es in die Schulmannschaft geschafft hatte.
Es ist immer seltsam, während der Ferien in der Schule zu sein, dachte sie. Die Geräusche in der Turnhalle klangen lauter als sonst, und die leeren Flure kamen ihr doppelt so breit vor wie an Schultagen. Sie hatte von draußen in ihren abgeschlossenen Klassenraum gespäht, wo ihr Lehrer die Weihnachtsdekoration durch Poster ersetzt hatte, die das Selbstwertgefühl der Schüler stärken sollten.
Die meisten Mädchen waren nach dem Turnier nach Hause gegangen, doch Sheridan hatte diese Möglichkeit nicht. Also wartete sie und hoffte, ihr Haar werde keinen Raureif ansetzen.
Sie schüttelte den Kopf, als sie an den Verlauf des Turniers dachte. Sie glaubte nicht, es in die Schulauswahl geschafft zu haben. Obwohl sie sich viel und schnell bewegt hatte (ihr Vater hatte ihr gesagt, auch wenn sie den Korb nur selten treffe, brauche jede Mannschaft Leute, die sich ins Zeug legen und verteidigen), war es eine Tatsache, dass sie eine lausige Werferin war. Im Übungsspiel Fünf gegen Fünf hatte sie von drei Würfen keinen im Korb versenkt, und einer ihrer verirrten Bälle war von der Oberkante des Korbbretts senkrecht abgeprallt. Und noch schlimmer: Bei einem Gerangel um einen freien Ball war ihr die Brille von der Nase geschlagen worden und über den Boden geschlittert, und der Trainer hatte eine
Auszeit gepfiffen, damit sie nicht zertreten wurde. Das hatte die Aufmerksamkeit auf sie gelenkt, und einige Mädchen hatten gekichert, als Sheridan wegen ihrer schlechten Augen Probleme gehabt hatte, Brille und Trainer zu finden. Als das Spiel weiterging und sie die Brille wieder trug, wurde das Spiel zweimal hintereinander wegen eines Fouls von ihr abgepfiffen: Erst hatte sie einem Mädchen, das zuvor gekichert hatte, einen Schlag auf den Arm verpasst, als es den Ball im Korb ablegen wollte; dann hatte sie einem anderen Mädchen mit einem bewegten statt einem stehenden Block den Weg zum Korb verstellt.
Hinter ihr öffneten sich zischend die Türen. Der Trainer, Mr. Tynsdale, der auch Kunst unterrichtete, kam aus dem Gebäude und schloss hinter sich ab.
»Holt dich jemand ab?«, fragte er. Sie versuchte aus seinem Blick zu schließen, ob er nur aus Mitleid fragte oder womöglich eine seiner neuen Mannschaftsspielerinnen nach Hause bringen wollte, konnte es aber nicht erkennen.
»Mein Dad kommt sicher gleich.«
Mr. Tynsdale nickte. »Er ist der Jagdaufseher, nicht?«
»Ja.«
»Also dann.« Er lächelte und schritt zum
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