Blutschnee
Männer rutschten auf ihrem Stuhl herum und räusperten sich. Viele lehnten sich mit verschränkten Armen zurück und starrten zur Decke.
»… eine gründliche, alle Aspekte berücksichtigende Beurteilung
muss erstellt werden, um die Bedürfnisse der so vielfältigen Flora und Fauna dieses Gebiets zu bestimmen, wobei eine Vielzahl wissenschaftlicher oder der Förderung des Tourismus verschriebener Interessen zu bedenken sind …«
Schließlich stand einer der Männer, die die Hand erhoben hatten, auf. Dabei kippte sein leichter Klappstuhl um. Das Geräusch brachte Strickland aus dem Tritt, und über ihre Miene huschte ein tiefer Schrecken.
Der Störenfried war Herman Klein – der Rancher, mit dem Joe in der Vorwoche Kaffee getrunken hatte. Er stellte sich Strickland und der Versammlung vor.
»Wortmeldungen müssen im Voraus eingereicht werden, damit wir darauf eingehen können, und ich denke nicht, dass Ihr Name auf der Liste steht«, sagte sie. »Zusätzliche Wortmeldungen können hinterher zu Protokoll gegeben werden. Setzen Sie sich also bitte wieder, Sir.« Zwei Mitarbeiter der Forstverwaltung, die rechts und links von ihr saßen, erhoben sich, um Stricklands Aussage größeres Gewicht zu geben, taten es aber unwillig, wie Joe bemerkte.
Klein schob die Hände verlegen in die Vordertaschen seiner Jeans, setzte sich aber nicht. »Mrs. Strickland, ich war bei genug solcher Veranstaltungen, um zu wissen, dass wir weit über die Zeit sein werden oder Ihre Entscheidung längst gefallen ist, wenn endlich auf die Wortmeldungen der Bürger eingegangen wird.«
Seine Worte riefen in der Cafeteria ein kurzes Lachen hervor. Joe beobachtete Strickland genau. Ihre Miene verriet Furcht und Verachtung. Sie hasste das. Sie hasste es, wenn jemand sie unterbrach.
»Bitte verzeihen Sie meine Begriffsstutzigkeit«, fuhr Klein fort, »doch ich möchte sicher sein, verstanden zu haben, was
Sie da sagen. Wer die Rhetorik der Regierenden nicht gewöhnt ist, hat Probleme, Ihnen zu folgen.« Erneut ging ein Lachen durch den Raum.
Joe schaute sich rasch um. Alle Gesichter waren Herman Klein zugewandt. Joe erkannte mehr Besucher als erwartet. Einige von Kleins Rancherkollegen saßen im Saal verteilt. Ausrüster, die den Wald für geführte Jagden und Wanderungen nutzten, waren zahlreich vertreten. Den Rest der Menge bildeten einheimische Jäger. In einer Gemeinde wie Saddlestring, in der fast alle Bewohner jagten, hieß dies, dass etliche Ärzte, Anwälte, Einzelhändler und Lehrer anwesend waren. Spud Cargill und Rope Latham, die beiden Dachdecker, trugen ihre Firmenjacken mit dem geflügelten Ziegel auf dem Rücken. Joe erinnerte sich, sie Weihnachten in der Ersten Gebirgskirche bemerkt zu haben. Doch soweit er sah, war von den Souveränen niemand erschienen. Er hatte sich schon gefragt, ob welche auftauchen würden.
Melinda Strickland tappte in die Falle, die Herman Klein ihr gestellt hatte, indem er verkündete, nur ein dummes Landei zu sein – eine Behauptung, die die Einheimischen den Auswärtigen, zumal den Beamten, liebend gern auftischten. Joe war selbst früher Opfer dieses Schachzugs geworden.
»Soweit ich weiß, besitzt und bewirtschaftet die US-Regierung fast die Hälfte der Fläche Wyomings«, fuhr Klein fort, »sei es durch die Forstverwaltung, Landverwaltung, Nationalparkverwaltung oder eine andere Behörde. Die Hälfte unseres Staates ist also in den Händen von Bürokraten aus Washington. Nicht dass ich was gegen die Bundesbürokratie hätte – wie könnte ich?«
Die Menge kicherte, und selbst Joe lächelte. Melinda Strickland hatte die Arme in die Hüften gestemmt und musterte Klein mit kaltem Blick. Einer ihrer Mitarbeiter, der direkt
neben ihr stand, wollte sich setzen, als ihn ein vernichtender Blick von Strickland daran hinderte.
»Das Problem, das ich damit habe«, sagte Klein, »ist, dass es keine Verantwortlichkeit gibt. Wenn all diese Gebiete vom Staat Wyoming oder sogar von Politikern aus diesem Bezirk verwaltet würden, könnten wir sie abwählen, wenn uns der Sinn danach stünde. Wenn es sich um ein Privatunternehmen handeln würde, könnten wir Aktien kaufen, auf Aktionärsversammlungen gehen und kräftig Ärger machen. Doch weil diese Gebiete von Bürokraten verwaltet werden, die niemand gewählt hat, bleibt uns nur übrig, auf Versammlungen wie diese zu gehen und uns anzuhören, was Sie mit unseren Wäldern und unserer Landschaft vorhaben.«
Zustimmendes Gemurmel erhob sich.
»Verzeihung«,
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