Blutschuld
sein. Sie liebte es, sich mit den Gästen zu unterhalten, mit ihnen darüber nachzudenken, was für den einen oder anderen das richtige Programm im Zeitlos wäre. Sie verlieh allem gern eine persönliche Note und hatte ein besonderes Gespür für Menschen. Daher hatte sie sicher ihre Gründe, die beiden Frauen voneinander fernzuhalten.
Phin wünschte nur, er wüsste, was zum Henker eigentlich vorging. So generell.
»Und«, murmelte er, während er die Behandlungspläne beider Frauen verglich, »hier ist alles bestens.« Nicht, dass das eine Rolle gespielt hätte. Abgesehen von ihrem Verwöhnprogramm am Vormittag hatte Naomi alles geschwänzt. Yoga, Entspannungsübungen, Massage – nirgends war sie aufgetaucht.
Was zum Geier machte die Frau eigentlich den ganzen Tag?
Mit Blick auf den Bildschirm trommelte Phin mit den Fingern auf den Rand der eingelassenen Tastatur. Geistesabwesend wiederholte er damit eine typische Geste seiner Mutter. Er war nervös.
Halte Miss Ishikawa von der Restaurant-Etage fern . Abigail zelebrierte die Mahlzeiten wie gesellschaftliche Ereignisse. Phin war davon überzeugt, dass Abigail nur im Zeitlos abstieg, weil sie hier ausreichend Publikum hatte, das ihr nicht entkommen konnte. Das bedeutete, sie würde sie wieder als Geiseln nehmen. Ihre Königliche Hoheit, die ungekrönte Scheidungskönigin unter den Reichen und Schönen der Stadt.
Eigentlich war also gemeint: Halte Naomi von Abigail fern.
Aber warum?
Im Vorbeigehen griff sich Phin sein Jackett vom Garderobenständer, zog die Tür hinter sich zu und aktivierte die Türverriegelung. Er behielt den Daumen auf dem unauffällig kleinen Display des Scanners, bis die typischen Geräusche von Riegeln, die an ihren Platz glitten und einrasteten, ihn davon überzeugten, dass die Tür so sicher verschlossen war wie nur möglich.
Er ertappte sich dabei, dass er vor sich hin pfiff, als er in Richtung Aufzug davonging.
Es hatte viel zu lange gedauert, das Badezimmer der Suite zu säubern. Aber jetzt ginge es bei jeder zufälligen Inspektion als zumindest auf den ersten Blick sauber durch. Im Zeitlos standen Putzmittel nicht gerade überall herum, wo die elitäre Klientel des Wellness-Tempels über sie hätte stolpern können.
Mit Wasser und hübsch schäumendem Duschgel bekam man es allerdings nicht sauberer hin als so.
Die ganze Nacht hindurch hatte Naomi den Vollidioten verwünscht, dem sie den Schädel an der Toilettenschüssel aus Porzellan eingeschlagen hatte. Auf dem gekachelten Badezimmerboden war der Kerl dann verblutet.
Die lästerlichsten aller Flüche hatte Naomi ausgestoßen, als sie die Leiche durchsucht und nur ein Duplikat ihrer eigenen Schlüsselkarte gefunden hatte. Kein Ausweis. Alles, was Naomi hatte, war eine Zeitlos -Uniform und die beschissene Schlüsselkarte.
Es hatte sie einiges an Anstrengung gekostet. Aber Naomi hatte die Leiche samt der zu Wischtüchern umfunktionierten blutigen Handtücher fürs Erste in ihrem Schrank im Schlafzimmer verstaut. Dann hatte sie die Klimaanlage dort so weit aufgedreht, wie es möglich war. Trotzdem würde die Leiche bei diesen Temperaturen nicht lange in gutem Zustand bleiben. Naomi würde Carson aufstöbern müssen, ehe der tote Hexer zu stinken begann.
Was als miese Laune angefangen hatte, wuchs sich innerhalb der nächsten vier Stunden zu veritablen Kopfschmerzen aus.Nicht einmal Gemmas herrlich betäubende Creme vermochte da noch etwas ausrichten.
Dieser Laden war ein verdammtes Labyrinth. Lediglich zwei Stockwerke hatte Naomi systematisch durchkämmen können. Entsprechend frustriert war sie. Müde obendrein. Und was viel schlimmer war: Sie stand mit leeren Händen da. Dieser Scheißkasten von Resort war riesig. Riesiger als ein einzelnes Gebäude überhaupt sein durfte. Da gab es Korridore und Gänge, die sich in alle Richtungen verzweigten, und Treppenauf- und -abgänge, zu denen Naomis Schlüsselkarte ihr keinen Zugang gewährte.
Sie benutzte ihr Com, um alle Gänge und Korridore, Vestibüle und Gangkreuzungen zu dokumentieren, die sie abgesucht hatte. Aber als sie auf einen blauäugigen Mann mit Spülschürze traf, fiel ihr keine gute Ausrede ein. Daraufhin führte der Schürzenträger sie zurück in den Bereich, der der Öffentlichkeit zugänglich war.
Auf der Habenseite konnte Naomi nur verbuchen, dass ihr während der Gebäudedurchsuchung Sicherheitsvorkehrungen aufgefallen waren, wo sie bisher keine vermutet hatte. Möglicherweise war Phin schlauer als sie
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