Blutseelen 03: Laira: Erotischer Vampirroman (German Edition)
lassen mussten oder für ihre Königin, konnte Rene nicht erkennen, da sie die übergroße Gestalt in dem prunkvollen Gewand kaum ausmachte. Teile ihrer Oberfläche waren abgeplatzt. Dort, wo einst das Gesicht saß, befand sich ein hässlicher Krater. Fast, als wäre der Dargestellte dem Fluch des Vergessens anheimgefallen, der Damnatio memoriae , die man einst abolitio nominis nannte. Auf der Schulter der dargestellten Figur hockte ein weißer Falke, dessen kreisrunde Augen unangenehm intensiv starrten.
Rene ging weiter. Ihre Füße wirbelten Staub auf, der den Boden als dicke Schicht bedeckte. „Da müsste ganz dringend mal der Zimmerservice durch“, murmelte sie, einen Finger über die schmutzige Wand fahrend.
Hin und wieder sah sie Käfer und Spinnen. Einmal huschte ein Skorpion an ihren nackten Zehen vorbei. Offensichtlich gab es unter dem Sand bereits mehrere kleinere und größere Durchgänge in das Labyrinth. Sie hoffte, dass ihr in den vergangenen Jahrhunderten niemand zuvorgekommen war. Die Chancen für ihren Erfolg standen gut. Laira lag durch Magie verborgen, erst Amalia hatte ihr Versteck verraten können.
„Jara“, zischte Rene im Selbstgespräch. Erinnerungen stiegen in ihr auf. „Wenn ich gewusst hätte, wie sehr du mich täuschst, hätte ich dich damals nicht so lange am Leben gelassen.“ Sie atmete tief ein und hörte ein Geräusch hinter sich, das sie herumfahren ließ. Wie eine Waffe stieß sie die Taschenlampe voran und lauschte. Ihr feines Gehör ortete in der Stille. Nichts. Zuerst hatte sie geglaubt, Marut sei ihr gefolgt, aber vielleicht war es nur ein Stein gewesen, der hinabfiel. Sie wusste, dass die Tunnel nicht gesichert waren und es jederzeit zu einem Einsturz kommen konnte. Wenn sie Pech hatte, ging sie verschüttet und bräuchte Stunden, um sich zu befreien. Doch der Schatz, den es zu bergen galt, war jede Anstrengung und jedes Opfer wert.
Sie wollte weitergehen, als sie etwas fühlte, das sie direkt in ihre Vergangenheit katapultierte. Wie damals ging eine Druckwelle durch den Gang und stieß sie zur Seite. Sie kam aus der Richtung, in die Rene wollte; gleich jenem unhörbaren Klang, zu dem sie sich vor Jahrtausenden abrupt in ihrem Lager im Norden aufsetzte und die Augen aufriss.
„Kemet“, sagte eine Stimme aus ihrer Erinnerung. Ägypten. Daher war der Klang gekommen, von diesem Labyrinth, in dem sie sich befand. Aus Kemet, dem schwarzen Land, dessen Seele eine Dämonentochter war. Wie damals kam sie nun von Norden und zog dem Süden entgegen. Ihre Kehle zuckte. Vor ihr befand sich ganz eindeutig Laira, die Quelle der Macht. Von ihr ging der Impuls der Druckwelle aus.
Als Rene die Welle vor Jahrtausenden das erste Mal gespürt hatte, war sie aufgebrochen, und ihr Leben hatte sich für immer verändert. Das blonde Götterkind aus dem Norden wurde zu seiner letzten Aufgabe gerufen.
Die Welle traf Rene damals unvorbereitet und riss sie aus dem Schlaf.
Rene schlug in ihrer Erinnerung das Tierfell beiseite und trat nackt wie sie war hinaus in den Schnee. Ihr Herz fühlte sich wie gefangen zwischen den Rippen an, ihre Stirn schmerzte. Die Welt draußen schien unverändert, als hätte es die Welle der Macht nicht gegeben. Es roch feucht und irden. Die mächtigen Tannen wehten in der morgendlichen Brise, von Raureif besetzt. Im Wald huschten die Tiere auf knirschendem Grund davon. Noch war es dunkel, doch die Sonne schickte bereits ihren grauen Vorboten, das Zwielicht. In der Ferne ertönte das Rufen ihrer beiden Krähen, die spürten, dass sie wach war.
Sie rief die Vögel mental zu sich. Die Krähen landeten keine zwei Minuten später vor ihren Füßen im kalten Weiß. Ihre Schnäbel streckten sich ihr erwartungsvoll entgegen. Sie flatterten auffordernd mit den blauschwarzen Flügeln und krächzten.
„Habt ihr es auch gefühlt?“, fragte Rene die Boten des einäugigen Gottes. „Spürt ihr, was mich ruft? Spürt ihr sie ?“
In den starren Vogelaugen sah sie Verständnis. Die Krähen sahen durch die Zeiten und die Welten der Lebenden hindurch und erblickten, was auch sie erkannte.
„Ich muss sie töten“, flüsterte Rene und fühlte dem Impuls beider Zeiten nach. „Ich töte die Frau, die keine ist, bevor sie die Welt verdunkelt.“
Unwillkürlich sprach sie die Worte aus der Vergangenheit laut aus und lauschte, wie sie sich an den Wänden des Labyrinths brachen. Sie war nicht im vorgeschichtlichen Europa, sondern am Ursprung in einem anderen Jahrtausend. In der
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